Bild nicht mehr verfügbar.

Foto: APA/epa/Guiseppe Farinacci
"Zwangsheirat" - das Thema hat in den letzten zehn Jahren geradezu einen Hype in Medien und politischen Gremien erfahren. Ein Grund mehr für die Grünen, die Debatte jenseits von Instrumentalisierung und Verharmlosung zu "versachlichen", wie Grünen-Menschenrechtssprecherin Alev Korun vergangenen Dienstag bei einer Diskussionsveranstaltung unter dem Titel "Zwangsheirat – Mythos und Realität" in der Wiener Urania betonte. Zu ebenjener Versachlichung trug ein Vortrag von Birim Bayam von "Papatya" bei, einer Kriseneinrichtung für junge Migrantinnen in Berlin. Seit 20 Jahren arbeiten die engagierten Sozialarbeiterinnen dort mit von Gewalt betroffenen Migrantinnen - das Problem der Zwangsverheiratung kennen sie beinahe ebenso lang.

"Meine Eltern bringen mich um"

Ein Satz, den Bayam oft hört, wenn die Mädchen zu ihnen kommen: "Meine Eltern bringen mich um, wenn sie mich finden". Die Flucht in die Beratungsstelle - meist über Umwege wie Polizei oder Krankenhaus - steht fast immer am Ende einer langen Geschichte von Gewalt und Bevormundung innerhalb der Familie, denen die Minderjährigen ausgesetzt sind. Durchschnittlich 60 Mädchen nimmt die Beratungsstelle pro Jahr bei sich auf. Im Jahr 2004 waren 29 Mädchen von Zwangsheirat betroffen.

Warum die Eltern eine Heirat erzwingen wollen, habe unterschiedliche Gründe, so Bayam. Sie kann als "Disziplinierungsmaßnahme" verstanden werden, ähnlich wie der in unseren Breitengraden bekannte Ausspruch "Jetzt kommst du ins Heim". Eine schnelle Verheiratung biete den Eltern einen Lösungsweg aus der Angst, die Tochter könne einen Freund haben oder sich generell vom erwünschten Lebensstil entfernen.

Stärkung der Familienbande

Neben einer weiteren Immigrationsmöglichkeit sehen viele Familien damit auch eine Stärkung der eigenen Familienbande. Gängig auch die Motivation, die Tochter angesichts der eigenen finanziellen Situation so bald wie möglich zu "versorgen": Bayam verwies darauf, dass eine große Anzahl der Mädchen aus sozial schwachen Familien kommen, 40 Prozent sind sogenannte Scheidungskinder und/oder wurden seit Jahren zwischen den Verwandten hin und hergereicht. "Wenn das eigene Leben schon nicht den traditionellen Bildern entspricht und der Sohn womöglich im Gefängnis sitzt, dann muss zumindest die Tochter jungfräulich in die Ehe gehen", skizzierte die Papatya-Mitarbeiterin die widersprüchliche Sichtweise der Eltern.

Arrangiert oder erzwungen?

Keine klare Unterscheidung gibt es zwischen arrangierter und erzwungener Heirat, doch zumindest bei Minderjährigen spricht man eindeutig von Zwang. Unter welchen Bedingungen eine Zustimmung zu einer arrangierten Hochzeit erfolgt, sei jedoch fraglich: "Viele dürfen nicht einmal über das Modell ihrer Schuhe entscheiden, sollen dann aber wissen, welchen Mann sie heiraten wollen."

Gesetzliche Maßnahmen

Gesetzliche Regelungen, die ihre Arbeit erschweren, kennt Bayam einige. So verwehrt das deutsche Jugendamt, mit dem die Einrichtung zusammenarbeitet, jegliche Unterstützung für volljährige Mädchen. "Wir wissen aber, dass genau im Alter von 18 Jahren viele Mädchen erst den Mut fassen von zu Hause wegzugehen. Zum Teil wollen sie damit ihre Eltern schützen, die ihnen ja meistens auch sehr am Herzen liegen. Der Staat sagt hier aber, jetzt bist du unabhängig, zeig wie du dich durchsetzen kannst." Ein anderes großes Problem sei die Gebundenheit des Aufenthaltsstatuses an einen fixen Wohnort. Zahlreiche Mädchen kann die Einrichtung deshalb nicht bei sich aufnehmen, weil sie in Berlin kein Aufenthaltsrecht haben. Doch gerade im Fall von Zwangsheirat, wo sich die Betroffenen auch Drohungen durch das familiäre Umfeld ausgesetzt sehen, sei ein Ortswechsel oftmals sehr ratsam. Da der Aufenthalt bei Papatya auf zwei Monate begrenzt ist, seien dringend Folgeeinrichtungen nötig sowie Sensibilisierungsmaßnahmen für Lehrkörper, schloss die Expertin. (freu)