Abbildungen der Knotenlöserin
Foto: devime
Foto: devime

Einkaufsbummel in der "Mahü" (Mariahilfer Straße = Wiener Einkaufsstraße). Mein Blick in die Ausverkaufskörbe eines Esoterikladens bleibt bei einem Madonnenbild hängen. Die Symbole der christlichen Kirchen finden sich inzwischen sogar auf den "indischen" Räucherstäbchenpackungen. Ich lege die Packung gelangweilt zurück und da erkenne ich das Bild "Maria Knotenlöserin". Dieses Altarbild einer kleinen Kirche in Neuulm fand ich in einer sehr guten, wissenschaftlichen Zusammenfassung zum Thema Brustkrebs. Die Autorinnen dieses so überlebenswichtigen Werkes für an Brustkrebs erkrankte Frauen erwähnen dieses Bild, weil viele Frauen – auch Nichtchristinnen – zu diesem Bild pilgern und hier ihre Sorgen, Wünsche und Gebete anbringen. Maria als Himmelskönigin im blauen Mantel und schönen roten Kleid, hält ein hellblaues - oder ist es weiß? - Band über eine ihrer Brüste und löst einen Knoten. Wie kommt dieses Bild hierher auf die Räucherstäbchen aus dem fernen Indien?

"Virgen Desatanudos" steht da auf der Packung und nach Hause gekommen, tippe ich dieses Wort – ich denke es ist spanisch – in Google ein. Ich lande in einer virtuellen "Knotenlöserin-Welt". Hunderte von Webseiten in verschiedenen Sprachen aus vieler Frauen Länder, mit Gebeten, Geschichten, Lobpreisungen etc... Viele scheinen wenig mit dem katholischen Christentum zu tun zu haben. Auf allen diesen Knotenlöserinnenseiten immer wieder das Altarbild aus Neuulm. In Österreich gibt es in der Nähe von Voitsberg auch eine "Knotenlöserin – Kapelle" mit einer Kopie des Madonnenbildes mit dem hellblauen Band. Auch dort pilgern vor allem Frauen hin, um sich Unterstützung zu holen, um ihre Sorgen und ihre Angst dort zu lassen, um ihre Knoten zu lösen.

Also zurück in den Esoterikladen, um diese Räucherstäbchen zu kaufen und sie den Frauen zu schenken, die alle Mittel wählen, um mit dieser Krankheit - und mit der Angst, an einer Krebserkrankung zu leiden, zu leben und zu überleben.

Alles probiert

Als feministische Erwachsenenbildnerin Mitte 40 kenne ich viele Frauen, die an Brustkrebs erkrankt sind und waren, einige sind gestorben, und Göttin sei Dank, kenne ich viele mehr, die diese Krankheit überlebt haben. Diese Frauen haben eines gemeinsam, sie haben alles probiert, was ihnen sinnvoll erschien, um wieder gesund zu werden. Wurden Sie nicht gesund, probierten sie auch alles, was ihnen weniger sinnvoll erschien. Einiges davon entsprach in keiner Weise dem wissenschaftlichen und/oder schulmedizinischen Wissens- und Forschungsstand. Viele der Frauen sind von ihren eigenen Überlebensstrategien überzeugt, auch wenn sie vor dieser Krankheit sehr daran gezweifelt hätten, wenn ihnen eine/r dies oder jenes vorgeschlagen hätte.

So besuchten auch viele Frauen, unabhängig davon, ob sie an Brustkrebs erkrankt sind oder nicht, die Knotenlöserin in Neuulm oder anderswo und einige gestalteten eine Neue, damit nicht alles den ChristInnen überlassen wird. Die Künstlerin Andrea Gross schuf eine blaue und sehr klare, schlichte Version der Virgen Desatanudos, die der Betrachterin fest in die Augen blickt. Die Autodidaktin Inge Doule zauberte eine fröhliche, lebenslustige Knotenlöserinnencollage, eine freche Madonna, die lachend ihr gelöstes Band in ihren Händen hält.

Ich erzählte Frauen die Knotenlöserinnengeschichte, außergewöhnlich viele Frauen kennen die "Virgen Desatanudos" und viele bezeichnen sie als Göttin und/oder Ansprechpartnerin bei Knoten jeglicher Art, die im Leben zu lösen sind. Mir scheint, dass es neben den herrschenden Religionen und der Vermarktungsmaschinerie der so genannten Esoterik noch ganz andere Welten gibt, die den Frauen ihr Leben erleichtern: zum Beispiel diese kleine, feine Knotenlöserinnenwelt! (Ruth Devime)

P.S.: Jener Mann, der bei einer Veranstaltung die Formulierung "Brustkrebsszene" verwendete, sollte sich eine aufmerksamere, liebevollere Bezeichnung für schwerkranke Frauen, die sich gemeinsam organisieren, zulegen. Das Wort "Szene" ist hier nicht angebracht! P.P.S.: Klar wird auch versucht, die Knotenlöserin zu vermarkten, siehe Räucherstäbchen!