Foto: Hoffmann und Campe
Seltsame Geschichten aus einem seltsamen Amerika, das ist die Spezialität der jungen, in San Francisco lebenden Judy Budnitz. Ihre bizarren Themen haben oft eine politische Botschaft, etwa wenn sie die latente Fremdenfeindlichkeit thematisiert.

Da ist die junge Frau, die illegal über die Grenze aus Mexiko in die USA kommen will. Sie ist schwanger und hofft, dass es ihr gelingt, das Kind auf dem Boden der USA zur Welt zu bringen, da diesem als Amerikaner ein besseres Schicksal zuteil werden wird. Weil sie aber beim illegalen Grenzübertritt immer wieder aufgegriffen und zurückgeschickt wird, dauert ihre Schwangerschaft jahrelang, um dann in der Geburt eines befremdlichen Riesenbabys zu kulminieren, das ihr weggenommen und AmerikanerInnen zur Adoption angeboten wird. Überhaupt sind die Kleinkinder eine Quelle der Beunruhigung. Ein weißes Paar bekommt ein pechschwarzes Baby mit blondem Haar, die Variation des Wechselbalg-Märchens ist ausgesprochen bösartig, aber konsequent. Fremd ist auch Nadia, die Mailorder-Braut aus dem Osten, die sich an Joel klammert und mit giftig betonter Toleranz von seinen Freundinnen "akzeptiert" wird. Sie geht in einem Strudel aus "wohlmeinenden" Ratschlägen unter. In einem Provinzkaff geschieht etwas Ungeheuerliches: Schwarze Kinder stürmen das für Weiße reservierte Schwimmbad. Bald darauf bricht eine Polio-Epidemie aus.

Oder das Dauerthema Eltern: Lisa macht einen Pflichtbesuch bei ihrer Herkunftsfamilie. Es gelingt ihr, ihre Mutter zur längst fälligen Mammografie zu bewegen. Die Mutter nimmt jedoch im Wartezimmer Reißaus - um den Vater zu beruhigen, lässt sich Lisa die Mammografie machen. Das Ganze wiederholt sich mit Lisas Schwester, nur dass die Ärzte diesmal einen Knoten finden . . .

Noch krasser die Erzählung mit dem schlichten Titel "Besuch": Eine junge Frau versucht, ihren Freund hinauszukomplimentieren, bevor ihre Eltern sie heimsuchen. Die rufen von unterwegs an, wobei die Botschaften immer Besorgnis erregender werden. Erst verfahren sie sich, dann hat der Vater gesundheitliche Probleme, und die Mutter berichtet ganz begeistert, dass jetzt ein netter Fremder das Auto fahre. Der Witz kippt ins Unheimliche, und die gruseligen Möglichkeiten, die die Autorin offen lässt, entfachen die Fantasien des Lesenden. Gerne spielt Budnitz auch mit Science-fiction-Elementen.

In einer apokalyptisch ruinierten Welt beobachtet eine zurückgebliebene Frau einen Pferch mit gefangen genommenen Vertretern, die wimmernd ihre Waren anpreisen, bis sie zugrunde gegen. Ein Arzt dreht in einem Feldlazarett durch, Frauen errichten auf einer Insel ein harsches Matriarchat, seit ihre Männer im Krieg verschwunden sind. Budnitz erzählt all die Ungeheuerlichkeiten in einer lapidaren, ironischen Sprache. Ihren Abstand zum Common Sense verpackt sie nicht in politisch korrekte, pädagogische Traktate, sondern in surreale Albträume von großer Leuchtkraft. (Ingeborg Sperl, DER STANDARD, Album, 20./21.1.2007)