Cover: Rowohlt
"Wenn Liebe für uns gleichbedeutend ist mit Schmerz und Leiden, dann lieben wir zu sehr. Wenn Gespräche mit unseren engsten Freundinnen sich meistens nur um unseren Partner drehen, wenn fast alle Sätze mit "Er..." anfangen, dann lieben wir zu sehr. Wenn wir viele seiner Charakterzüge, Einstellungen und Verhaltensweisen eigentlich ablehnen, sie aber in dem Glauben hinnehmen, dass er sich uns zuliebe ändern wird, wenn wir nur attraktiv und verständnisvoll genug sind, dann lieben wir zu sehr. Wenn die Beziehung zu einem Partner unser seelisches Wohlergehen, vielleicht sogar unsere körperliche Gesundheit und Sicherheit gefährdet, dann lieben wir zweifellos zu sehr."

1985 stand Robin Norwoods Klassiker "Women Who Love Too Much! When You Keep Wishing and Hoping He'll Change" das erste Mal auf der amerikanischen Bestsellerliste. Mittlerweile ist die 24. deutschsprachige Auflage erschienen, das Thema, so scheint es, ewig aktuell. Was das Buch nicht ist: ein simpler Ratgeber für Liebeskummer. Was es sein kann: ein wertvoller (Um-)Denkanstoß für Frauen, die sich in obigem Zitat wieder finden - oder sich fragen, warum sie so gut wie immer in Beziehungen landen, in denen ihre Liebe nicht erwidert wird. Und warum sie trotzdem darin bleiben.

In einem ausführlichen Vorwort erklärt Norwood zunächst das Syndrom des "Zu-sehr-Liebens" und wie das Wort "Sucht" in diesem Zusammenhang zu verstehen ist. In den nachfolgenden Kapiteln schildert die Psychotherapeutin dann die Lebensgeschichten von Klientinnen aus ihrer Praxis, die zu sehr geliebt haben. Plakativ wählt sie dabei auch krasse Schicksale, die sich um Selbstaufgabe, alkohol- oder drogenabhängige Partner, Selbstmordabsichten und ungestillte Sehnsüchte drehen. Ganz konkret beschreibt sie die typischen Merkmale von Frauen, die zu sehr lieben, und die vielen Aspekte, Handlungsweisen und "Deckmäntelchen", unter denen das Muster zu finden ist.

Wie die Männer es sehen

Zwischendurch wendet sich die Autorin immer wieder direkt an die Leserin, erklärt anschaulich Zusammenhänge und zeigt Lösungen auf. Ein Kapitel ist auch der anderen Seite, den "Männern, die sich zu sehr lieben lassen", gewidmet: Hier kommen ehemalige Partner betroffener Frauen zu Wort, während Norwood analysiert, was in diesen Beziehungen ablief und warum sich diese Männer von ihren Partnerinnen angezogen fühlten.

Einen großen Teil des Buches widmet die Therapeutin dann der möglichen Veränderung und dem Heilprozess: Sie beschreibt die Schritte, die ihrer Meinung nach dazu nötig sind, macht aber auch darauf aufmerksam, dass dieser Prozess, das Ablegen dieses, vielleicht schon in der Kindheit erworbenen, gut geübten Musters, unter Umständen Jahre dauern kann. Sie setzt auf Hilfe zur Selbsthilfe, und sie macht Mut: "Falls sie sich für den Weg der Veränderung entscheiden, werden sie sich verwandeln: von einer Frau, die einen anderen Menschen so sehr liebt, dass es schmerzt, in eine Frau, die sich selbst genug liebt, um dem Schmerz ein Ende zu setzen." (isa)