Foto: Schöffling und Co
Wenn es stimmt, dass ein guter Schriftsteller keine Geheimnisse hat, dann ist Margit Schreiner ein sehr guter Schriftsteller. Wieso "Schriftsteller"? Weil Schreiner, wie weiland die Bachmann, für ihre Job-Beschreibung stets die männliche Form wählt. In ihrem neuen Buch vertritt sie die These, dass ein Autor, der sich, eingestanden oder nicht, bemüht, etwas Persönliches nicht preiszugeben, beim Schreiben nie zur Wahrhaftigkeit vordringe.

Margit Schreiner verrät in Haus, Friedens, Bruch eine Menge von sich, von ihren nächtlichen Panikanfällen, von ihrer großen Liebe (verheiratet, aber "nicht mehr sehr") und den früheren kleineren, von den Konflikten mit ihrer pubertierenden Tochter, vom Zank mit ihrer Mutter, der deren Tod überdauert.

Ich-Erzählerin

Genaugenommen heißt die Ich-Erzählerin freilich nicht Margit Schreiner. Sie hat gar keinen Namen. Aber sie ist Schriftstellerin, lebt wie die Autorin in Linz und hat Bücher geschrieben, die sich als jene der Margit Schreiner identifizieren lassen. Dazu kommt das Bekenntnis zum totalen Bekenntnis. Wie schon in Nackte Väter und Heißt lieben, in denen der Abschied von den Eltern ergreifend zelebriert und reflektiert wird, dürfen wir also mit Fug und Recht eine enge Verwandtschaft zwischen Autorin und Erzählerin vermuten.

Der Titel klingt wie eine Parodie auf Schreiners Erfolgsbuch Haus, Frauen, Sex und spielt damit auf einen Text an, der ausnahmsweise nicht autobiografisch punziert ist: In einer wilden Suada rechnet ein von seiner Frau verlassener Mann mit dieser und dem Rest der Welt ab. Diesmal ist es eine Frau, die einem undefinierten Du, vielmehr: Sie, ihr Herz ausschüttet, wiederum "ein furioses Stück Rollenprosa", wie es im Klappentext heißt, nur dass jetzt die angenommene Rolle der gelebten zum Verwechseln ähnlich schaut. Freilich, wie sagt die Erzählerin so schön: "Du kannst dich hinsetzen und haargenau aufschreiben, was du wie wann erlebt hast, es bleibt deine Erfindung."

Puzzle, nicht Roman

Trotzdem nennt sie, was da entsteht, nicht "Roman", sondern ein "Puzzle". Eigentlich wollte der Verleger von ihr ja, dem Zug der Zeit entsprechend, einen Krimi. Den hat er nicht bekommen, man kann sich vom markant umgangssprachlichen Redestil aber immerhin an Wolf Haas erinnert fühlen. Der "Hausfriedensbruch" als übergeordnete Sinneinheit verspricht fast so viel Action wie der "Hausfrauensex" (die Auflösung im Titel geht jedoch grammatikalisch nicht so glatt auf, "Friedens" bleibt als Genitiv die Sollbruchstelle der Trias). Margit Schreiner verweigert indes jede Koketterie mit dem Spektakulären, die über die Wahl des Titels hinausgeht: Sie will zeigen, welch zartes Gebilde so ein Hausfriede ist und dass wir zumeist selbst es sind, die ihn stören oder gar brechen.

So konzentriert sie sich ganz auf das Haus und das Hausen und verwahrt sich gleich am Anfang gegen einen Vorwurf, den man schon ihrer seelenverwandten Landsmännin Marlen Haushofer (nomen est omen) gemacht hat: Sie würde dauernd vom Haushalt erzählen, also vom Banalsten unserer Existenz. "Aber das Wichtigste im Leben ist keineswegs, was man arbeitet, wie erfolgreich man ist oder eben nicht, wie man seine Freizeit verbringt und so weiter, sondern das Wichtigste ist, wie man wohnt, wie und wo man aufs Klo geht, wo man die Wäsche wäscht."

Körperniveau

Dieser angewandte Materialismus ist typisch Schreiner: Bevor wir uns in den Höhen der Philosophie verlieren, holt sie uns herunter auf Körperniveau. Und so berichtet uns die Erzählerin ausführlich von der neuen Wohnung mit Terrasse, vom neuen Sofa, von den Tücken des Geschirrspülers, von chronischen Rückenschmerzen und nächtlichen Magenkoliken, ehe sie auf den Kern ihrer Existenzkrise zu sprechen kommt, auf ihre Angst vor der Armut, vor dem Alter, vor dem Tod. Wie das ist, wenn man in der Nacht schweißgebadet aufwacht und nicht mehr weiter weiß. Wenn einem der gewohnte "Überfluß an Zeit" plötzlich abhanden kommt, wenn Landschaften ihren Zauber verloren haben, "als hätte ich sie so lange abgeschleckt, bis nur blasse, abgerundete Konturen übrig geblieben sind". Radikal, wie sie ist, bohrt Margit Schreiner in diesen Wunden, bis es weh tut.

Sehr bezeichnend auch, dass ihr angstgebeuteltes Alter ego Genesung nicht in einer Psychotherapie sucht oder im Buddhismus (wie die liebe, mühsame Freundin Amelie), sondern in einem Wundersessel namens Cumulus, mit dessen hindernisreicher Lieferung die Geschichte beginnt: Das Produkt gibt es, wie ein Blick ins Netz lehrt, wirklich, es handelt sich offenbar um eine unentgeltliche Werbeeinschaltung.

Schneidende Ehrlichkeit

Dieser Cumulus ist nämlich ein Ding, das Entspannung verspricht, ein Faulbett als Allheilmittel, dem man sich in völliger Passivität zwecks Anwendung diverser Massage-Programme hingibt, von "Walken und Streichen" bis "Lockern" und "Beleben". Und ein wenig gleicht das auch der Behandlung, die Schreiner ihren geschätzten LeserInnen zuteil werden lässt, die sich ihr wohlig anvertrauen und, hast du's nicht gesehen, läuft schon ein anderes Programm. Gerade noch kumuliert in ihren Nachtgedanken alles Leid der Welt, da hat die Autorin schon umgeschaltet auf "Satirisch klopfen und kneten". Auch da geht sie mit Rasanz und schneidender Ehrlichkeit zu Werke. Wie kaum jemand beherrscht Schreiner die Kunst, das ganz Schwere mit dem Leichten zu verquicken, es mit einem Dreh ins Sarkastische zu schärfen und zugleich zu entschärfen.

Zum Beispiel die Schreibhemmung, die einer Schriftstellerin naturgemäß an die Nieren geht (und die man mit einer Wendung ins Persönliche wohl ganz gut bekämpfen kann). Das Versagen am Schreibtisch führt ihr unbarmherzig die Konkurrenz vor Augen, schließlich muss sie "Tag für Tag gegen dreihundertdreißigtausend Neuerscheinungen pro Jahr anschreiben".

Produktive Kollegen

So liest sie in den Literaturbeilagen "mit Entsetzen" von den neuen Werken der Kollegen ("Alle unheimlich produktiv. Und selbstsicher") und nimmt mit all den "Kunsthandwerksbüchern" augenscheinlich das jüngste österreichische Erzählwunder aufs Korn: "Und die Jungs featuren sich noch gegenseitig! Da lobt der eine den anderen wer weiß wie über den grünen Klee, und jeder Insider weiß, daß die beiden beste Freunde sind."

Der eingestandene Neidkomplex relativiert immerhin das böse Urteil. Mit sich ist die Schreibende nicht weniger streng, anders als ihrem Ex-Mann geht es ihr ums Wüten, nicht ums Rechthaben - aber der ist ja auch Deutscher. Gegen den Glauben der Nachbarn, das "richtige" Deutsch zu sprechen, setzt sich die Erzählerin übrigens (ziemlich) konsequent zur Wehr. Sie will nicht "Stadtstreicher" schreiben, wenn sie "Sandler" meint, "nur weil Deutschland den größeren Buchmarkt hat".

Der "Ex" jedenfalls ist nicht loszuwerden, allnächtlich gibt er sich in ihrem Schlafzimmer ein gespenstisches Stelldichein mit ihrer verstorbenen Mutter, auch andere Stimmen wollen nicht schweigen. Gern würde das Ich diesen Hausfriedensbruch bei der Polizei anzeigen. Gern würden wir die Autorin anzeigen, die uns um unsere Seelenruhe bringt. Und dabei behauptet, sie - oder ihr besseres Ich - wolle uns in Wahrheit trösten. (Daniela Strigl, DER STANDARD, Print-Album, 28./29.7.2007)