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In Österreich sind derzeit über 50 verschiedene Pillen-Präparate zugelassen. Sie unterscheiden sich zum Teil sehr in Wirkstoffzusammen- setzung und Dosierung. Welche die Richtige für die einzelne Frau ist, muss in einer ausführlichen ärztlichen Beratung geklärt werden.
Foto: Reuters/KIMIMASA MAYAMA
Wird in Österreich von Verhütung gesprochen, ist in den häufigsten Fällen die Pille gemeint. Erhebungen von Pharmafirmen, Meinungsforschungsinstituten aber auch der unabhängige Familien und Fertilitätssurvey (FFS) bestätigen, dass die Mehrheit der Frauen auf orale Kontrazeptiva vertraut. Die Pille kommt in der gynäkologischen Praxis aber auch bei vielen anderen Beschwerden zur Anwendung, zum Beispiel bei Regelschmerzen, Zyklusunregelmäßigkeiten oder auch Endometriose. Hinzu kommen die "Beauty-Effekte" der Pille auf Haut, Haar und das Wohlbefinden allgemein, mit denen Pharmahersteller immer häufiger werben. Hat sich die Pille 40 Jahre nach ihrer Zulassung am Markt von einem Verhütungsmittel hin zu einer Art "Allround-Pille" für die Frau entwickelt?

Gesundheitsrisiken

Für Sylvia Groth vom Frauengesundheitszentrum Graz ist klar: Die Pille ist ein Medikament, das sich wie jedes andere Medikament eine kritische Kosten- Nutzen-Rechnung gefallen lassen muss. "Umso strenger fällt diese Rechnung aus, da die Pille ja gesunde Frauen nehmen und nicht Kranke", weiß die Medizin- Soziologin.

Der Zusammenhang zwischen Pille-Einnahme und Thrombosegefahr, Herzinfarkt- sowie Brustkrebsrisiko ist für einzelne Pillen-Varianten belegt und sollte nicht bagatellisiert werden, auch wenn andere Gefährdungsmomente wie zum Beispiel Rauchen oder ein erhöhter Cholesterinspiegel bei den Krankheitsrisiken eine größere Rolle spielen mögen. Es ist ein Novum in der medizinischen Geschichte, dass gesunde Frauen in diesem Ausmaß mit einem Medikament behandelt werden, und das zum Teil über viele Jahre ihres Lebens. Groth setzt sich mit ihrem Frauengesundheitszentrum seit Jahren für einen bewussteren und auch kritischeren Umgang mit Hormonpräparaten bei Frauen ein.

Selbstbestimmt und frei

Die sexualgeschichtliche Forschung hat die Erfindung der Pille vielmals als die Initialzündung für die Befreiung der weiblichen Sexualität beschrieben. Ohne Zweifel: Die hormonelle Verhütung entband Frauen zuverlässig von der Angst einer ungewollten Schwangerschaft. Kehrseite dieser Befreiung war aber auch die Übertragung der alleinigen Verantwortung für die Verhütung. Studien aus den 1960ern zeigen den Wandel in dieser Frage: Zwei Drittel der Männer sahen sich damals noch für die Verhütung in der Partnerschaft zuständig, heute sind es nicht einmal mehr 20 Prozent (Quelle: Befragung zu Verhütungsmethoden in Deutschland im Auftrag der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, 2003).

Libidoverlust

Dass die Pille nicht nur selbstbestimmt und frei, sondern unter Umständen auch lustlos macht, empfindet Groth in der aktuellen Debatte dabei geradezu als "zynisch": "Was nützt es mir, frei zu sein, wenn ich keine Lust habe?" Bis vor nicht allzu langer Zeit wurden Klagen von Frauen über etwaige Lustlosigkeit während der Pillen-Einnahme gerne auch einmal mit dem Argument abgetan, dass Frauen im Bewusstsein nicht schwanger werden zu können, auch weniger Lust verspüren würden. "Biologistisch" nennt Groth diese Argumentation und verweist auf eine breit diskutierte Studie des Boston University Medical Centers, wonach die Pille- Einnahme auch nach dem Absetzen des Medikaments die Libido von Frauen beeinträchtigen kann, weil der durch die Hormon-Zufuhr gesenkte Testosteron- Spiegel im Blut dauerhaft unter dem vorherigen Wert bleibt.

Abwägen

Freilich, sexuelle Lust hängt von mehr ab als dem Hormonspiegel im Blut, und bei weitem auch nicht jede Frau kämpft mit den bekanntesten Nebenwirkungen der Pille wie Gewichtszunahme, Gemütsverstimmungen oder Migräne. Groth kritisiert auch nicht, dass sich Frauen für ein hormonelles Verhütungsmittel mit all seinen Vorzügen und Risiken entscheiden, was sie bemängelt, ist die zum Teil "manipulative" Darstellung der Pille durch die Pharmaindustrie und einzelne Medien. Wenngleich die Betonung der erwünschten Effekte eines Produktes aus marketingtechnischer und ökonomischer Sicht Sinn mache, so dürften doch die Rechte der Konsumentinnen nicht vernachlässigt werden, meint die Gesundheitsexpertin.

Man wisse, dass GynäkologInnen in ihrer Praxis großteils auf die Informationen der Pharmaindustrie zurückgreifen, anstatt sich aus erster Hand über die wissenschaftlichen Erkenntnisse zu informieren. "Viele Frauen fühlen sich aber auf dieser Grundlage nicht umfassend beraten", so Groth. Es obliege demnach oft unabhängigen Stellen wie dem Frauengesundheitszentrum, Betroffene umfassend zu Nebenwirkungen und Risiken der Pille zu beraten. (Ina Freudenschuß, die Standard.at, 9.8.2007)