Foto: Edition Balance
"Angst zu verschwinden nicht mehr da zu sein Begraben, verweht, vergessen ..."

Diese Zeilen hat Lena S. in einem Gedicht geschrieben, als sie tief in der Sucht, der Anorexie, festsaß. Aufhören mit dem Abnehmen konnte sie dennoch nicht, trotz ihrer Todesangst, trotz ihrer andauernden Schmerzen, trotz ihres permanenten Hungers. "Ich kann ... nicht essen und nachts nicht mehr schlafen, weil mein Körper wehtut, und wenn ich eine halbe Stunde spazieren gehe, bin ich so erschöpft wie früher nach einem Dauerlauf. Ich spüre, dass ich sterbe - haben Sie das schon einmal gespürt? - ich kann vor Angst manchmal nicht mehr atmen, mir wächst Haar an Stellen, an denen gar keines wachsen dürfte, das ist aber normal, bei Magersüchtigen wächst oft so ein Flaum, der Körper versucht sich irgendwie warm zu halten, meine Regel habe ich seit vielleicht anderthalb Jahren nicht mehr bekommen, die Sondernahrung ... schütte ich in den Abfluss."

Die Autorin berichtet in ihrem Buch "Auf Stelzen gehen" über die vielen Jahre, in denen sie alles versucht hat, um dünn und dünner zu werden. Klinikaufenthalte und Rückfälle, das Sterben des Freundes an eben dieser Krankheit, ihr tagtägliches, ja minütliches Ringen mit dem Thema, das ihr Leben beherrscht hat: Essen bzw. Nicht-Essen. Dabei wird vor allem eines überdeutlich: die anorektische Welt ist sehr eng, bietet keinen Bewegungsraum, keine Gedankenfreiheit, keine Möglichkeit, frei zu atmen oder auch nur ansatzweise glücklich zu sein. Die Kontrolle des Körpers beherrscht das Sein als einzig wahr genommene Option.

"Was immer da Forderungen gestellt hat, was immer sich da aufspielen wollte, eine Angst, eine Wut, eine Enttäuschung, eine Unsicherheit, eine Lust, ein Hunger, ich habe alles beherrscht. Ich brauchte nichts, ich war stark, ich wollte nichts, ich war beschäftigt mit Nichtessen, nur darauf kam es an, das war mein Schuzschild, und solange ich darin die Oberhand behielt, war ich perfekt, konnte mir nichts etwas anhaben."

Auf diese Weise konnte sie ihren tatsächlichen Schwierigkeiten, in erster Linie dem Elternhaus, aber auch anderen zwischenmenschlichen Beziehungen, fliehen, ihnen ausweichen, Die Probleme wurden abstrahiert und auf eine andere Ebene gehoben. Und so schreibt auch Alexa Franke im Nachwort dieses Buches: "Die Anorexia nervosa ist ein verzweifelter Kampf der Selbstfindung". (dabu/ die Standard.at, 29.08.2007)