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Sieht im Islamismus den "Faschismus des 21. Jahrhunderts" und in demokratischen Rechten ein "Angebot" an Einwanderinnen: die deutsche Feministin Alice Schwarzer.
Foto: APA/dpa/Arno Burgi
Alice Schwarzer, die auf Einladung der Thalia-Buchhandlung in Wien ihr neues Buch "Die Antwort" vorstellte, warnt im Gespräch mit Irene Brickner vor einer "falschen Toleranz".

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STANDARD: Frau Schwarzer, wenn ich mir die Diskussion über den Islam in Österreich vergegenwärtige, habe ich den Eindruck einer irgendwie verkehrten Welt. Bei uns ist es Jörg Haider, der "auf den Straßen keine verschleierten Frauen sehen" möchte, während sich etwa SPÖ-Nationalratspräsidentin Barbara Prammer gegen Bekleidungsdiskussionen – aber dabei auch durchaus gegen das Kopftuch – ausspricht. Wie kommt Ihnen das vor?

Schwarzer: Ich bin ein bisschen erstaunt, dass man in Österreich die kritische Diskussion über den politisierten Islam den Rechten überlässt. Das scheint mir fatal. Denn der Islamismus – nicht der Islam! – ist der Faschismus des 21. Jahrhunderts und die größte Bedrohung nicht nur für Frauen, sondern auch für die ganze Demokratie. Die Linke hat leider sehr lang weggeschaut und eine falsche Toleranz gepflegt.

STANDARD: Jörg Haider und FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache verfolgen mit ihrer Islam-Kritik aber doch nationalistische Ziele.

Schwarzer: Mag sein. Aber man kann sich doch nicht von der Rechten diktieren lassen, was man denkt und was man sagt. Außerdem steht Islamismus-Kritik für fortschrittliche Menschen in einem anderen Kontext. Für uns ist es schlicht eine Frage der Menschenrechte, die unteilbar sind. Sie gelten für Frauen aus dem muslimischen und christlichen Kulturkreis gleichermaßen. Natürlich bin ich für Religionsfreiheit, und ich bin auch gegen ein Kopftuchverbot auf der Straße – hier muss man diskutieren, aufklären, argumentieren –, aber ich glaube, dass das Kopftuch plus Ganzkörperverhüllung im öffentlichen Dienst in einer Schule überhaupt nichts zu suchen hat, bei Lehrerinnen ebenso wenig wie bei Schülerinnen.

STANDARD: In Österreich, wo die islamische Glaubensgemeinschaft eine staatlich anerkannte Religion ist, bestreiten aber Frauen mit Kopftuch den muslimischen Religionsunterricht. Ist ein solcher Weg der Toleranz ein gefährlicher Weg?

Schwarzer: Ja, auf jeden Fall, ich habe ein ganzes Buch über die falsche Toleranz herausgegeben ("Die Gotteskrieger und die falsche Toleranz", 2002). Ich erinnere mich an die 1960er-Jahre in Deutschland. Auch da hatten wir schon Millionen Türken im Land, doch damals gab es kein Kopftuch, ausgenommen das der anatolischen Bäuerin – oder der steirischen. Das Kopftuch der Musliminnen, wie es heute getragen wird, ist überhaupt erst in den 1980er-Jahren aufgetaucht, als Folge der Politisierung des Islam. Es ist seit Khomeinis Iran die Flagge der Gotteskrieger. Die Islamisten haben die sozialen und ökonomischen Probleme der Einwanderung für ihre Rekrutierung genutzt, sodass heute die dritte Einwanderergeneration schlechter Deutsch spricht als die zweite. Und wir haben die muslimischen Jugendlichen diesen Rattenfängern überlassen.

STANDARD:: Hat das nicht auch mit der Fremdenfeindlichkeit in den Einwanderungsstaaten zu tun?

Schwarzer: Auch, aber die hält sich zumindest in Deutschland in Grenzen – immerhin haben wir aus der Nazizeit unser Trauma weg. Nein, das ist Resultat der erfolgreichen Agitation von Islamisten, ausgebildet im Iran und finanziert von Saudi-Arabien.

STANDARD: Kann eine vehemente Ablehnung etwa des Kopftuchtragens nicht dazu führen, dass sich Musliminnen von der westlichen Gesellschaft abwenden und so dem Ziel der Integration schlechte Dienste erwiesen werden?

Schwarzer: Das tönt sehr nach falscher Fremdenliebe, die nur die andere Seite der Fremdenverachtung ist. Es wäre gut, wenn wir uns nicht immer Stellvertretergedanken machen würden, sondern sagen: Für uns sind die demokratischen Rechte eine Selbstverständlichkeit – und für die Menschen, die zu uns kommen, sollte es ebenso sein.

STANDARD: Für Frauen im Westen ist Ihrer Darstellung nach die Gleichheit bereits errungen worden: Ein Erfolg des Feminismus, wie Sie schreiben. Gleichzeitig kritisieren Sie, dass Frauen sich zum Beispiel einem kindlich-lächerlich machenden oder pornografischen Modediktat unterwerfen. Wie passt das zusammen?

Schwarzer: Theoretisch sind wir gleichberechtigt, praktisch hinken wir hinterher. Wir sind in den vergangenen dreißig Jahren mit Siebenmeilenstiefeln vorangekommen. Doch in Zeiten des Fortschritts gibt es auch Rückschritte, das ist in der Geschichte immer so, denn die bestehende Ordnung wird ja erschüttert. Diejenigen, die an dieser Ordnung ein Interesse haben, versuchen, die Veränderungen aufzuhalten – und verführen Frauen in Zeiten, wo ihnen die Welt offen steht, sich in Schuhe zu zwängen, die ihnen nur Trippelschritte erlauben.

STANDARD: Auf realpolitischer Ebene wiederum wird den Frauen in Deutschland und Österreich die sinkende Kinderzahl vorgeworfen – ebenfalls ein Backlash-Symptom?

Schwarzer: Na na, es gibt doch Untersuchungen, die belegen, dass es vielmehr die Männer sind, die keine Kinder mehr wollen! Ich verstehe das gut, denn im Jahr 2007 heißt Vatersein etwas ganz anderes als vor 30 Jahren. Damals ging man als Vater mit den Kindern einmal in den Zoo, abends küsste man sie vor dem Schlafengehen, und das war's. Doch diese Zeiten sind vorbei, Vatersein heißt jetzt Arbeit und Verantwortung übernehmen – das ist mühsam. Da müssen die Männer umlernen.

STANDARD: Aber kann man dieses Thema wirklich ohne jeden Bezug auf die leeren Pensionskassen diskutieren?

Schwarzer: Ich halte das für ein Pseudoargument. Sobald Frauen eingeschüchtert werden sollen, gibt es demografische Debatten. Es ist doch auch eine Frage des Systems. Ich etwa habe immer eingezahlt, also werde ich im Rahmen der Solidargemeinschaft doch ein gewisses Recht auf eine Pension haben – ob ich ein Kind habe oder nicht. Wenn die Gesellschaft Kinder will, soll sie Bedingungen schaffen – Ganztagskrippen und -schulen –, damit Frauen mehr Kinder bekommen können, ohne dass ihre Rolle als Mutter sie aus der Welt wirft. Das ist meine Antwort. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 28. September 2007)