Vor der Musik kam das Video: Cherry Sunkist aka Karin Fisslthaler ist auch als Videokünstlerin tätig. Ihre Arbeiten setzt sie als Visuals bei Live-Konzerten ein.
Foto: Bernd Oppl
"Ok Universe" ist am 8. November auf dem Wiener Label "22. Jahrhundertfuchs" erschienen.
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Die Riot Grrrls sind mitten unter uns. Eines davon sitzt in Linz und schickt von dort aus ihre aufgeladenen Popminiaturen in die Welt: Karin Fisslthaler, aka Cherry Sunkist, veröffentlicht dieser Tage ihr erstes Album unter dem Titel "Ok Universe". Das etwas breitgetretene Genre "Electro-Punk" bereichert sie darauf mit einer aktivistischen und connaisseusehaften Autorinnenschaft, die dem missing link zwischen Selbstzweck und Weltveränderung nachspürt. Was es mit dem Album-Titel, ihrer Liebe zu Le Tigre und ihrem politischen Anspruch an Musik und Szene auf sich hat, verrät die 27-Jährige im die Standard.at-Interview mit Ina Freudenschuß.

 

dieStandard.at: Der Titel deines Debütalbums lautet 'Ok Universe': Ist das versöhnend oder als Kampfansage zu verstehen?

Cherry Sunkist: Weder noch eigentlich. 'Ok Universe' war ursprünglich ein Lied, das auf das Album hätte kommen sollen und meine Rolle als Musikerin und Produzentin thematisiert. 'Ok Universe' beschreibt für mich auf bewusst naive Weise die Hoffnung auf einen Ort, an dem alle sich wohlfühlen können. Wo nicht nur Geschlecht keine Ausschlüsse mehr produziert, sondern auch Ethnie, Geld oder Herkunft wegfallen. Dieser Ort ist grenzenlos gedacht. Die Schwierigkeit liegt immer darin, diese Sehnsucht auf so einen Ort aufrechtzuerhalten, weil es natürlich noch viel Arbeit gibt, um bis dorthin zu gelangen.

dieStandard.at: Ist diese Suche für dich ein Antrieb, Musik zu machen?

Cherry Sunkist: Ja, als Musikerin kann man schon aktiv dazu beitragen, diesen Ort zu schaffen. In Bezug auf meine Position als Musikerin geht es dann darum, ein Umfeld zu finden und zu schaffen, wo ich Verbündete habe.

dieStandard.at: Hast du heute so ein Umfeld gefunden?

Cherry Sunkist: Ich habe schon das Gefühl, dass mich das Publikum als Musikerin anerkennt. Der Austausch mit anderen Musikerinnen ist auch vorhanden, aber vor allem in Bezug auf meinen Wohnort Linz nach wie vor zu wenig.

"love is a big cake – makes you wanna throw it up"

dieStandard.at: In deinen Texten wird die romantische Liebe an mehreren Stellen als Unterdrückungsapparat beschrieben – einmal durch Männer und dann durch den Kapitalismus via Konsum. Rätst du Frauen, sich von der Liebe fernzuhalten?

Cherry Sunkist: Generell würde ich das nicht sagen, aber es ist eine Beobachtung von mir, dass viele Frauen in romantischen Beziehungen klassische Rollen einnehmen. In dem Lied "Cake" geht es darum, dass man sich ständig verändern soll für jemanden. Die eigene Suche nach dem selbst läuft dann aber fremdbestimmt. In "I don't know who you are" singe ich darüber, dass der Konsum unsere Bedürfnisse steuert, bevor wir überhaupt selber wissen, was wir wollen. Jedenfalls nehme ich mich aus diesen Beobachtungen selbst nicht aus, ich sehe es an mir und an anderen und versuche diese Strukturen zu bekämpfen, indem ich sie thematisiere.

Wenn ich zum Beispiel über Faulheit und Selbstkontrollzwang singe, geht es dabei auch um meinen eigenen Kampf um Selbstbestimmung. Die Musik ist ein Vehikel dafür.

dieStandard.at: Deine Songs lassen auf eine große Wertschätzung für die Musik von Le Tigre und den Gesang von Kathleen Hanna schließen. Was bedeutet die Band für dich?

Cherry Sunkist: Le Tigre waren und sind total wichtig für mich. Ihre Verbindung von Punk und elektronischer Musik ist ja auch ausschlaggebend für meine eigene Produktionsweise. Neben den Texten von Kathleen Hanna ist es auch noch die Tatsache, dass Le Tigre eine explizit queere Band ist, und keine 'Frauenband'.

dieStandard.at: Was ist der Unterschied zwischen einer queeren und einer 'Frauenband' in einem politischen Sinn?

Cherry Sunkist: JD Samson ist ja eine Butch - das drückt für mich eine queere Haltung aus, weil es eben nicht darum geht, sich explizit weiblich darzustellen, sondern eine eigene Definition von Geschlechtlichkeit zu leben. Die vielen Graustufen zwischen männlich und weiblich würde ich als queer bezeichnen. Das alles artikulieren Le Tigre sehr lustvoll in ihrer Musik und ihren Performances, was ich faszinierend finde.

dieStandard.at: Wie bist du zum Musikmachen gekommen? Was war der ausschlaggebende Punkt?

Cherry Sunkist: Im Alter von 12, 13 Jahren habe ich mir selber Gitarre-Spielen beigebracht. Mit 16 spielte ich dann in einer Band, die zufällig aus lauter Frauen bestand - Rockmusik würde ich sagen. 2000 kam ich auf die Kunstuniversität, wo ich mich drei Jahre ausschließlich der bildenden Kunst gewidmet habe. Ausschlaggebend war dann 2003 mein Auslandssemester in Berlin, wo ich die Zeit hatte, Platten zu kaufen und mir selbst Musiksoftware zu lernen. Das Umfeld in Berlin war in diesem Zusammenhang sehr wichtig, weil ich dort viele Frauen auf der Bühne gesehen habe, Peaches zum Beispiel und auch Kevin Blechdom. Das hat mir das Selbstvertrauen gegeben, selbst etwas zu machen. Als ich zurückkam hatte ich dann gleich meinen ersten Auftritt bei der Ars Electronica.

dieStandard.at: Legst du Wert darauf, alles allein zu produzieren?

Cherry Sunkist: Inzwischen ist es mir nicht mehr so wichtig. Aber bei der Produktion für dieses Album war es zentral, dass es eine eindeutige Zuschreibung gibt. Ich wollte, dass klar ist: Ich habe das gemacht und alles - also sowohl Texte als auch Musik - kommt aus einer Person. Außerdem konnte ich allein ohne Kompromisse produzieren, was ich als Vorteil empfinde. Heute könnte ich mir vorstellen, mit anderen MusikerInnen zusammen zu arbeiten. Ich habe inzwischen auch einen Perfektionsanspruch entwickelt, der mir gezeigt hat: Man kann nicht alles gleich gut.

Auch bei meinen Videos bin ich offener geworden. Inzwischen begleiten mich Visualistinnen bei meinen Shows, die meine Videos mit ihrem Material mischen.

dieStandard.at: Was hat der Name Cherry Sunkist mit dir zu tun?

Cherry Sunkist: Mit Cherry Sunkist verbinde ich eine Erinnerung aus dem Kindergarten. Meine Mutter hatte mir für den ersten Tag ein Sunkist mitgegeben, das wurde mir dann aber geklaut, was sich ein bißchen traumatisch bei mir ausgewirkt hat (lacht). Ich habe den Namen auch gewählt, weil Cherry Sunkist eigentlich für etwas klebrig-süßes steht, ich es aber persönlich mit einem so negativen Erlebnis verbinde.

dieStandard.at: Du warst ja auch auf der Girl Monster Compilation der Chicks on Speed mit einem Song vertreten. Wie lautet deine Definition dieses Girl Monsters?

Cherry Sunkist: Ich habe immer ein Problem mit Festschreibungen, insofern kann ich mich in diesen Definitionen auch nicht wiederfinden. Bei über 60 Frauen einen gemeinsamen Nenner zu finden, ist eben auch sehr schwierig. (dieStandard.at, 14.10.2007)