Die Präsidentin des Nationalen Bund der Hausangestellten Creuza Maria de Oliveira bei ihren Ausführungen am Dienstagabend in Wien. Links neben ihr: Silke Tribukait von der Aktionsgemeinschaft Solidarische Welt.

Foto: Claudia Dal-Bianco/Frauensolidarität

"Schon mit zehn Jahren haben ich als Hausangestellte gearbeitet. Schreiben, Lesen und Rechnen lernte ich erst mit 16 Jahren. Während der Arbeit hörte ich im Radio, dass sich Hausangestellte gewerkschaftlich organisieren", erzählt Creuza Maria de Oliveira über ihren Einstieg in die Arbeitswelt. Heute ist die Brasilianerin Präsidentin des Nationalen Bund der Hausangestellten (FENATRAD). Dienstagabend präsentierte sie ihm Rahmen einer Veranstaltung der Frauensolidarität und der Aktionsgemeinschaft solidarische Welt in Wien Strategien zur Selbstorganisation von Hausangestellten.

Gleich zu Beginn ihrer Darstellungen lässt sie die ZuhörerInnen wissen, dass sie „seit 25 Jahren eine militante Kämpferin für Hausangestellte" ist. Und der letzte große Erfolg liegt erst wenige Wochen zurück: Beim 100. Kongress der Internationalen ArbeiterInnen Organisation (International Labour Organization - ILO) am 16. Juni in Genf wurde die Konvention 189 „Menschenwürdige Arbeit für Hausangestellte" verabschiedet.

"Am 16. Juni konnten die Hausangestellten der Welt feiern", freut sie sich. Gemeinsam mit zahlreichen Frauenorganisationen und sozialen Bewegungen setzte sich de Oliveira für diese Konvention ein. FENATRAD klopft bereits seit 1995 immer wieder an die Tür der ILO, um in einer Konvention arbeitsrechtliche Mindeststandards, wie die Einhaltung der ILO-Kernarbeitsnormen, festzuhalten. Diese beinhaltet etwa das Verbot von Kinder- und Jugendarbeit oder das Recht auf Urlaub. Es ist ein arbeitsrechtlicher Minimalbeschluss, der bei der ILO-Konferenz aber dennoch auf Widerstand stieß.

Widerstand der EU-VertreterInnen

Großer Widerstand kam von Seiten der EU-VertreterInnen, berichtet die brasilianische Gewerkschafterin. Diese plädierten für eine unverbindliche Empfehlung anstelle einer bindenden Konvention und forderten die Ratifizierung von bis zu 35 Ländern, die nur schwer erreichbar ist. Für de Oliveira ein Zeichen, dass die EU-VertreterInnen alles versuchten, um eine Stärkung der Hausangestellten zu verhindern. Beschlossen wurde schließlich, dass die Konvention von mindestens zwei Ländern ratifiziert werden muss, um international in Kraft zu treten. Sowohl Argentinien, Bolivien als auch Brasilien haben bereits angekündigt, die Konvention rasch zu ratifizieren.

Arbeitsrechtliche Standards, wie sie die 1919 von den Vereinten Nationen gegründete ILO immer wieder neu formuliert, konzentrieren sich auf Arbeit in der formellen Wirtschaft und zielen auf staatliche Regulierungen ab. Mitglieder der ILO müssen regelmäßig Berichte über den Stand ihrer nationalen Gesetzgebung in Bezug auf Arbeitsrecht und Arbeitsschutz erstatten. Transnationale Unternehmen werden hierbei jedoch nicht in die Pflicht genommen. Die ILO hat sich zur Aufgabe gemacht, die Arbeitsrechte aller Menschen zu fördern und verkennt dabei den starken Trend zur Informalisierung der Arbeitsverhältnisse. Denn Berechnungen zufolge werden im Jahr 2020 weltweit zwei Drittel der Erwerbstätigen im informellen Sektor (also ohne jegliche arbeits- und sozialrechtliche Absicherung) tätig sein.

Acht Millionen registrierte Hausangestellte

Dieses Dilemma zeigt sich am Beispiel der brasilianischen Hausangestellten. Acht Millionen registrierte Hausangestellte werden von FENATRAD gezählt. Das entspricht zehn Prozent der erwerbsfähigen brasilianischen Bevölkerung. Die Mehrheit der brasilianischen Hausangestellten migrieren vom armen Nordosten in den reichen Südosten. "Brasilien gilt als Schwellenland, doch gerade bei den Hausangestellten zeigt sich die große Kluft zwischen Arm und Reich", führt de Oliveira aus. Immerhin haben Hausangestellte im Südosten des Landes die Möglichkeit das Zwei- bis Dreifache zu verdienen.

Die brasilianische Gewerkschafterin geht davon aus, dass die Informalisierung der Hausangestellten über 50 Prozent beträgt. 96 Prozent aller Hausangestellten sind Frauen, die meisten von ihnen mit schwarzer Hautfarbe und aus unteren sozialen Schichten. 25 Prozent aller Hausangestellten haben nach Schätzung von FENATRAD einen Arbeitsvertrag, jedoch halten sich nur zwei Drittel der ArbeitgeberInnen an diese Verträge. Das liegt unter anderem daran, dass Arbeitsverhältnisse in Privathaushalten von niemandem kontrolliert werden.

Vereinzelung der Hausarbeiterinnen

Ein ähnlich problematischer Mechanismus zeigt sich bei der gewerkschaftlichen Organisation von Hausangestellten. Durch ihre Vereinzelung in Privathaushalten - im Gegensatz zu großen Betrieben, wo Angestellte jeden Tag zusammentreffen - ist es sehr schwierig diese zu erreichen und kollektiven Widerstand zu formieren. Bei FENATRAD sind rund drei Prozent der acht Millionen registrierten brasilianischen Hausangestellten organisiert. Um die Hausangestellten zu erreichen, verteilen die Gewerkschafterinnen etwa Informationsflyer an von Hausangestellten stark frequentierten Bushaltestellen.

Die Etablierung der Gewerkschaft für Hausangestellte stellte Creuza Maria de Oliveira vor ähnliche Diskussionen und Probleme wie bei der ILO-Konferenz in Genf. Brasilianische Gewerkschaften, stellt sie fest, seien ähnlich "männerbündlerisch strukturiert wie in Österreich". Vorerst ging es darum, den GewerkschafterInnen klar zu machen, dass es sich bei den Hausangestellten um einen großen eigenständigen Sektor handelt. "Wir mussten ihnen klar machen, dass wir nach dem Gewerkschaftskongress nicht die Räume reinigen und den Herren kein Essen auf den Tisch stellen". Auch als der Gewerkschafter Lula da Silva 2002 brasilianischer Präsident wurde, änderte sich an dieser Kultur nicht viel.

Entscheidungsträger mit eigenen Hausangestellten

"Hausarbeit ist keine produktive Arbeit, weil sie keinen Profit abwirft und erfordert daher auch keine ordentlichen Lohn", ist eines der Ressentiments mit dem de Oliveira und ihre Kolleginnen konfrontiert sind. Die Interessen durchzubringen war auch deshalb schwer, weil die Entscheidungsträger männlich waren/sind und sie selbst oft Hausangestellte zuhause haben. "Denen Rechte zu geben, war den Herren nicht Recht", führt sie aus. "Selbst den Gewerkschaftern musste erklärt werden, dass die Arbeiterin zuhause das Recht auf pünktliche Lohnzahlung hat."

Dabei geht die Vertretung von Hausangestellten in Brasilien bis in das Jahr 1936 zurück, als der Verein für Hausangestellte gegründet wurde. Seit 1972 gibt es das Recht auf einen Arbeitsvertrag, wodurch sie Urlaub oder Sozialleistungen beanspruchen können. 1988 erkämpften die GewerkschafterInnen das 13. Monatsgehalt für Hausangestellte. Schließlich gliederte sich FENATRAD 1998 in den gewerkschaftlichen Dachverband ein, nicht zuletzt um ein strategisches Bündnis zwischen gewerkschaftlicher Selbstorganisation informeller Beschäftigter und traditioneller Gewerkschaften zu etablieren. In dieser Zeit wurden etliche Erfolge erzielt, wie Creuza Maria de Oliveira stolz erzählt - neben dem Recht auf Bildung war ihr die Abschaffung der Kinder- und Jugendarbeit besonders wichtig. (Sandra Ernst Kaiser, dieStandard.at, 21.7.2011)