Leo Hemetsberger, Philosoph und Unternehmensberater.

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In den Wirtschaftswissenschaften prallen Glaubenssysteme aufeinander, offene Diskurse sind unmöglich, es gilt nur "entweder - oder". Weil man nicht miteinander redet, sondern im Sinne partikularer Interessen aneinander vorbei schreit, gelingt es auch nicht, die jeweiligen Vorteile verschiedener Systemansätze abzugleichen und zu kombinieren, um an sich plausible Ansätze der "Gegner" mit in ein allgemeines Lösungskonzept aufzunehmen - wenn es denn nur eines geben kann. Cui bono - wer hat was davon?

Ideologisches Geschrei

Es wettern Neo- gegen Ordo- und beide gemeinsam gegen libertäre Liberale. Hayek-, Mises- und Friedmanschüler gegen Eucken-Fans und alle blicken skeptisch auf die Rothbard- und die Gesellsekten. Was genau ist heute nochmal genau der Unterschied zwischen konservativ und progressiv? Nein, denn nur der Keynes kann's oder der Felber hat's. Ist doch die pragmatisch-langweilige ökosoziale Marktwirtschaft das Gelbe vom Ei? Krakeelen da nicht noch ein paar Postmarxisten herum - das ist doch eh der chinesische Weg. Für alle?

Auf dem medialen Marktplatz sind die Modelle sehr unausgewogen präsent. Viel hört man von angeblich unumstößlichen Gesetzen des Marktes. Das pauken die Propagandamaschinerien als einzigen Weg zum Glück - there is no alternative. Die anderen Theorien können sich nicht durchsetzen. Steckt gar Absicht dahinter, dass man in den Massenmedien wenig von ihnen hört? Zugegeben, eine naive Frage.

Wieso ist es gerade im Bereich der ökonomischen Grundkonzepte so schwierig, offen miteinander zu diskutieren? Oft verhindern partikulare Interessen und Verpflichtungen das Aufbrechen von einschränkenden, einseitigen Betrachtungsweisen. Liegt es aber vielleicht auch daran, dass die Mehrzahl der Ökonomen keine sozialwissenschaftliche, sondern eigentlich eine technische Ausbildung erhalten? Sie sollen als Erfüllungsgehilfen die gegebenen Werkzeuge gemäß vorkonstruiertem Wirklichkeitsbild bereitstellen, damit die notwendigen Funktionen exekutiert werden, ob als Betriebswirte, Controller, Legals, Supply Chain Spezialisten usw. bis zu den in Key Account-Methoden Angelernten. Das Credo lautet: Effizienz und Wachstum.

Wo bleibt das freie Spiel?

Weil nicht sein kann, was nicht sein darf, wird so lange unbeirrbar laut ex cathedra verkündeter Lehre weitergewurschtelt, bis der Karren hoffnungslos verfahren ist. Die hilfesuchenden Blinden klammern sich an die scheinbar wissenden Einäugigen qua Experten - um mit ihnen gemeinsam über die Klippe zu stürzen? Es helfe ja nur: more of the same. Man hat es ja bisher aufgrund der Beschränkungen durch die bösen Anderen und diese lästigen demokratischen Spielregeln nicht geschafft, die reine Lehre, (als reine Leere - tabula rasa - so wie in Kambodscha?) zu realisieren. Aber dann, wenn wir dann dran sind, dann wird es funktionieren, ganz bestimmt. Eine Botschaft in diversen Spielarten zieht sich durch, hier hat die angestrebte Deutungshoheit über die Begriffe durch eine ökonomische Schule gesiegt: die Märkte und ihr freies Spiel seien die Lösung aller Probleme. Das schallt uns überall entgegen.

Wider die Dogmenreiter der Apokalypsen

Erkenntnis kann nur dann erfolgreich in wirtschaftspolitisches Handeln übersetzt werden, wenn man dogmatische Lehrmeinungen auf ihre Voraussetzungen zurückführt. Dazu gibt es aber keine Öffentlichkeit, die möglichen Diskurse hierzu sind beschränkt und in den frustrierenden Talkshow-Formaten wird alles so lange zerredet, bis sich keiner mehr auskennt. Jeder, der von der vorgegebenen Linie abgeht, wird bei uns zwar nicht an die Wand, aber in ein Eck gestellt, in eine Schublade gesteckt und öffentlich lächerlich gemacht.

Die Ratschläge der etablierten Experten widersprechen einander in der Regel und die Märkte haben aus ihrem Selbstverständnis, falls es dazu Einigkeit gibt, kein Interesse,  ihre eigenen Rahmenbedingungen im Sinne eines größeren Gemeinsamen, des Gemeinwohls, zu denken. Das ist auch nicht ihre Aufgabe, sie wären damit heillos überfordert. Das Hemd bleibt ihnen immer näher als der Rock. Das ist die Aufgabe der Politik. Sie seufzen jetzt?

Weise Kanzelpredigt?

Vorherrschende Meinungen werden von den nur scheinbar vielfältig schillernden Kanzeln der Volkswirtschaftslehren verkündet und indoktrinieren die kommenden M(B)Anagereliten - quantify your life. Umgesetzt wird das so nur mäßig erkannte Bekannte auch von den politisch Verantwortlichen, die zuerst das Heft bereitwillig aus der Hand gegeben haben (super, wenn man Staatsverschuldungen einfach über Aktienmärkte refinanzieren kann, und das funktioniert garantiert!), um jetzt jedem Staatskrisenszenario im Himmel/Hölle-Format hinterherzulaufen: pleite...gerettet...pleite...gerettet - wer's glaubt wird selig. Lasst uns frohlocken, die Krisen werden wir nicht mehr los, aber die Märkte werden es uns schon richten - auf gut Wienerisch "die Wadln viererichten" - d.h. jemanden unsanft zu Wohlverhalten bringen, ein Euphemismus für Foltermethoden.

Welche Märkte?

Wer oder was sind sie? fragt richtigerweise der Wirtschaftswissenschafter Stefan Schulmeister. Wer definiert sie als solche, wodurch unterscheiden sie sich von anderen, sind sie vielleicht nur Chimären, böse Geister, die man nicht verärgern darf, weil sonst alles, und zwar sofort zugrunde geht. Was, wenn die Menschen aber selbst beginnen darüber nachzudenken? Reflexartig schleudern die Experten einander die Killerphrasen entgegen: "Da könnt ja jeder kommen." Oder: "Das ist nicht wissenschaftlich."

Die Lösungsratschläge wirken im Anschwellen der Krise immer chaotischer und dogmatischer, mittlerweile haben angeblich die Finanzmärkte das Kommando übernommen. Die wissen aber auch nicht, wozu sie gottgleich das Zepter nutzen sollen, außer dazu, ihre eigenen Pfründe zu sichern.

Das alles sehend rutscht ein exemplarisches Vorbild erkämpfter Freiheit, der europäische Sozial- und Wohlfahrtsstaat von der Farce in die Tragödie zurück für all jene 99 Prozent,  die ohne Einfluss die immer dünner werdende Suppe auslöffeln müssen. Wie lange die medialen Tititainment Konzepte noch aufgehen?

Das Beste ist!

Ob ich eine Patentlösung habe? Nein, aber im Herbst 2013 kommt der Komet "Ison", da steht dann der Fatalismus aus Nestroys Lumpazivagabundus wieder auf dem Programm. Früher wurde die Angst vor dem Teufel (in personam, als Rassen- und Klassenfeind usw.) instrumentalisiert, um die Massen gefügig zu halten. Heute wird die Angst vor dem Gesteinsbrocken aus dem All geschürt, der uns die ganze Vorstellung auf einen Schlag versaut. In Wien, sagte schon Gustav Mahler, findet die Apokalypse aber eh immer erst fünfzig Jahre später statt. (Leo Hemetsberger, derStandard.at, 17.7.2013)