Nehmen wir an, Sie wollen sich für eine interessante Stelle bewerben, sind 24 Jahre alt, weiblich, haben Sozialanthropologie in Mindestzeit studiert, während des Studiums einen Sohn bekommen und Auslandspraktika im Bereich internationale Beziehungen erfolgreich absolviert. Sie möchten sich jetzt zu möglichen Berufsfeldern informieren und nehmen dazu Angebote an, unter anderem von einem, dem AMS zuarbeitenden, privaten Institut. Dort werden Sie kategorisiert als Frau mit Kind = Wiedereinsteigerin. Es wird Ihnen empfohlen im Lebenslauf das Kind nicht anzugeben, weil sie dann eher zum Vorstellungsgespräch eingeladen würde. Wie entscheiden Sie sich?

Respekt und Vertrauen

Bei jeder sozialen Interaktion spielen Respekt und Vertrauen eine grundsätzliche Rolle. Doch wie soll sich das aus der oben skizzierten Ausgangsituation entwickeln können? Respekt bringt man entgegen und Vertrauen kann man nur schenken. Beide haben etwas mit Austausch, dem Geben und Nehmen, der Reziprozität oder Wechselseitigkeit im Sozialverhalten zu tun. Wie soll sich hier etwas positiv entwickeln können, wenn sich die junge Dame schon vorab so verbiegt, ihr Kind verschweigt bzw. verleugnen soll, nur um näher an die Joboption heran zu kommen? Wie soll ein Personalist mit der Situation umgehen, wenn nach dem ersten positiven Kontakt ein Kind aus dem Hut gezaubert wird?

Will man überhaupt in einem Unternehmen arbeiten, wo die Tatsache, dass etwas für die Person existentiell Bedeutsames, nämlich junge Mutter zu sein, ein Ausschlusskriterium bei der Erstauswahl bildet, abgesehen davon, ob das gesetzlich überhaupt zulässig ist? Wieso werden Männer, die sich um Positionen bewerben und die mehrere  Kinder haben nicht gefragt, wie sie ihre verantwortungsvolle Position mit ihrem Familienleben vereinbaren werden? Aber es gibt auch Gegenbeispiele, z.B. der mir bekannte und geschätzte Besitzer eines KMUs im Kulturbereich mit mehr als fünfzig Mitarbeitern, einer Gründerpersönlichkeit, der die Initiativbewerbung einer im siebenten Monat schwangeren Frau erhält, die sich für eine Leitungsfunktion bewirbt, die sie nach acht Wochen Karenz antreten möchte. Er war so perplex, dass er sie sofort genommen hat. Das Mädchen ist jetzt zwei Jahre alt, die Mutter arbeitet immer noch dort, hat die Kleine manchmal mit, und das ist überhaupt kein Problem.

Machen Sie dies, vermeiden Sie das!

Wie weit sind eigentlich die so genannten Berater von der Realität entfernt? Sie feilen unendliche Stunden an Lebensläufen herum, als wäre dies der wichtigste Faktor zum nächsten Jobglück. Für sie selbst bleibt die eigentliche Wirtschaft jedoch eine Blackbox, in die sie nur ihre eigenen Vorerfahrungen hineinprojizieren können. Sie begleiten die Arbeitsuchenden zwar während ihrer Phase bis zum Wiedereinstieg, aber sie bleiben draußen vor.

Es ist auch interessant zu analysieren, unter welchen Bedingungen die Berater arbeiten. Vor Jahren fand eine, durch die ganz uneigennützig argumentierenden Krankenkassen erzwungene, Umstellung aus der selbstgewählten Selbständigkeit ins Angestelltendasein nach einem mehr als dürftigen Kollektivlohn statt. Das hat der gesamten Branche sicher nur Verbesserungen gebracht, ein Schattenmarkt konnte endlich dem geordneten Beitragsregelsystem zugeführt werden, und das AMS schult jetzt noch lieber Arbeitslose zu Beratern für Arbeitssuchende um, ...and they live happily ever after.

Ich bin verfügbar!

Man stelle seine Arbeitskraft am Markt zur Verfügung und muss, wenn man bei Österreichs größtem Arbeitgeber zwischenangestellt ist, täglich arbeitsbereit sein und für Bemaßnahmungen zur Verfügung stehen, die die Vermittelbarkeit erhöhen sollen. Ansonsten wird man durch Bezügestreichung bestraft.

Viele Forschungsergebnisse stufen Zwang und Strafe ganz unten auf einer Motivationsskala ein. Ganz oben stehen Autonomie, Streben nach Verbesserung seiner Fähigkeiten und Sinnhaftigkeit des eigenen Tuns.

Turn on, tune in, drop out

Also ist dies wirklich das beste aller möglichen Systeme? Ginge das nicht auch ganz anders? Ist die Diskussion zum Grundeinkommen ideologisch so überfrachtet, dass man darüber nicht frei sprechen kann? Rührt das nicht auch an grundsätzliche Fragen, ob Lohnarbeit überhaupt ein erstrebenswerter Zustand ist? Was ist das gute Leben? Ist das normierbar und gilt für alle gleich? Andererseits wären nur Wenige freiwillig bereit die mögliche Konsequenz zu tragen, also sich im Extremfall einfach aus dem fürsorgenden Sozialsystem auszuschließen.

Junge Menschen, für die die Zukunft noch ganz offen ist, denken nicht soviel über Absicherung nach, obwohl die soziale Sicherheit in den Umfragen momentan eine höhere Wertigkeit erhält, vielleicht gerade weil sie fraglich geworden ist. Spiegeln sich darin nicht auch die Ängste der besorgten Eltern wider? Wenn nicht einmal mehr die Jugend bereit ist ein Risiko einzugehen, das im österreichischen System ohnehin ein überschaubares ist, dann werden wir wohl eher an der eigenen Furcht erstarren.

Aber was soll! Was ist? Trauen sie sich was? Sie könnten sich z.B. einfach selbständig machen, rufen sie doch beim Gründerservice an, die beraten Sie gerne.

Arbeit, was ist das?

Zurück zur Grundsatzfrage. Wieso müssen wir arbeiten? Gibt es dazu keine Alternativen? Wie sollen wir denn Arbeit definieren? Man bestimmt sie gängig als Komponente der Produkterzeugung im Wirtschaftsgeschehen. Oder sollen wir sie lieber als bewusst schöpferisches Handeln des Menschen ansehen? Dies hat je starke Auswirkungen auf die Vorstellung, als was "der Mensch" in den ökonomischen Verhältnissen wahrgenommen wird. Diese Vorstellungen sind abstrakt und hängen von der Zeit und dem Stand des Wissens ab.

In den letzten Jahrzehnten führte die Mathematisierung der Volkswirtschaftslehren zu einem abstrakten Menschentyp, der zu diesen vereinfachenden deterministischen Modellen passt, die noch stark von sozialwissenschaftlichen Theorien des 18. und 19.Jhdts beeinflußt sind. Homo Oeconomicus: Ein Monopolist ist ein kurzfristiger Gewinnmaximierer, der unter der alleinigen Prämisse der Gewinnmaximierung wie der pawlowsche Hund auf Veränderungen reagiert. Mit diesem Zerrbild kann man gut operieren, aber haben Sie so jemanden schon einmal getroffen?

Sein oder Sollen

Betrachten wir den Menschen im ökonomischen Rahmengefüge also wie er ist, oder wie er sein soll? Zweiteres überlasse man den ideologischen Zauberlehrlingen: "Walle, walle - aber wehe, wenn ich auf das Ende sehe"; Ersteres teilt sich wieder in den natur- und den sozialwissenschaftlichen Ansatz, wobei, und das ist wirklich schlimm, der hier zweitgenannte sich methodisch bei ersterem absichern will, allerdings zu einem beträchtlichen Preis, denn naturwissenschaftlich kann man Freiheit nicht denken. (Kant) Dies wäre auch für unser Wirtschaftssubjekt fatal, denn damit verlören wir den allseits so beliebten angeblich frei entscheidenden Konsumenten. So kommt man also nicht weiter. Wir können uns methodisch nicht dort verorten, wo der Freiheitsbegriff qua Selbstverständnis kategorisch ausgeschlossen bleibt. Daher wird es jetzt komplex. (Leo Hemetsberger, derStandard.at, 13.8.2013)