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In der ersten Verliebtheit hängt man oft nur zusammen. Später merken viele, dass sie gern wieder mehr Zeit für sich hätten. Wie sagt man das dem oder der anderen?

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STANDARD: Eine Freundin wünscht sich eine Beziehung – gleichzeitig fürchtet sie, dann nicht mehr frei zu sein. Sie hat Angst, sich zu sehr anpassen zu müssen und nicht mehr ihre eigenen Ziele verfolgen zu können. Was würden Sie Ihr sagen?

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Dieser Artikel ist am 2. 4. in dem STANDARD-Magazin Mein Job. Mein Leben. erschienen.
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Berger: Dass das ein ganz klassisches Dilemma ist! Wir Menschen sind so – einerseits sehnen wir uns nach Sicherheit und Geborgenheit, andererseits wollen wir den Nervenkitzel. Ihrer Freundin würde ich empfehlen, in sich zu gehen und sich zu fragen: Was brauche ich jetzt gerade dringender? Dass ich zu jeder Zeit tun und lassen kann, was ich will? Oder die Nähe in einer Beziehung?

STANDARD: Braucht es überhaupt noch eine Beziehung, um Nähe zu bekommen? Sex und einen entspannten Sonntag im Bett, das bekommt man mittlerweile ja auch auf Tinder.

Berger: Das stimmt, Kuscheleinheiten bekommt man auch ohne eine:n feste:n Partner:in. Aber die Frage ist ja nicht nur, ob wir eine Beziehung brauchen. Viele von uns wünschen sich einfach eine Beziehung.

STANDARD: In der ersten Verliebtheit hängt man oft nur zusammen. Irgendwann merken viele, dass sie wieder mehr mit anderen machen möchten. Wie sagt man das dem Partner oder der Partnerin?

Berger: Das Wichtigste ist, dass man dabei wertschätzend ist. Außerdem sollte man eine Ich-Botschaft formulieren. Es ist zum Beispiel nicht so gut, wenn ich sage: "Du pickst die ganze Zeit auf mir!" Besser ist zu sagen: "Ich hätte gerne hin und wieder mehr Zeit für mich und meine Freund:innen. Ich habe dich sehr lieb – trotzdem möchte ich ich bleiben." Super wäre auch, wenn man das auch noch in ein sogenanntes Feedback-Sandwich verpackt.

STANDARD: Was ist das?

Berger: Man sagt zuerst etwas Nettes, dann sagt man, welche Veränderung man sich wünscht, und zum Schluss wieder etwas Nettes. Dann nimmt der oder die andere die Nachricht leichter auf.

STANDARD: Also könnte man zum Beispiel sagen: "Ich genieße die Zeit mit dir sehr. In den letzten Wochen habe ich allerdings gemerkt, dass vieles, das mir sonst noch Spaß macht, zu kurz gekommen ist. Ich würde gern wieder öfter zum Yoga gehen. Vielleicht hast du ja irgendwann auch einmal Lust mitzugehen?!"

Berger: Genau so könnte man das sagen.

STANDARD: Woran liegt es, dass Menschen ein unterschiedliches Bedürfnis nach Freiraum haben?

Berger: Das hat mit der Geschichte eines Menschen zu tun, etwa damit, was einem die Eltern vorgelebt haben. Genau genommen ist es jedoch egal, was der Grund ist. Wichtig ist, wie man im Hier und Jetzt damit umgeht. Was tut man, wenn für den einen ein Treffen pro Woche reicht, der oder die andere aber am liebsten zusammenziehen würde?

Ich empfehle, viel über die eigenen Wünsche und Bedürfnisse zu reden. Im erwähnten Beispiel ist es vielleicht schwierig, einen Kompromiss zu finden, mit dem sich beide wohlfühlen. Da gilt es, jede:r für sich selbst zu überlegen, wie ich mich auf mein Gegenüber einstellen kann, ohne das Gefühl zu haben, sich zu sehr zu verbiegen.

STANDARD: Sollte man schon über Freiraum sprechen, bevor man überhaupt eine Beziehung eingeht?

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Freiheit und eine Beziehung schließen einander aus? Das muss nicht unbedingt sein, sagt die Paartherapeutin Natascha Ditha Berger.
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Berger: Wenn man verliebt ist, ist einem alles andere sowieso egal. Ich würde das ganz entspannt sehen: Man lernt einander kennen, versteht, wie der andere tickt. Später kann man immer noch darüber reden.

STANDARD: Nun zum Thema Fernbeziehung: Wenn die eine in Wien arbeitet und die andere beispielsweise in Kapstadt studiert – müssen sich die beiden mehr Freiheiten lassen?

Berger: Nicht mehr als in anderen Beziehungen. Ich glaube, bei Fernbeziehungen ist es eher das Kopfkino, das uns manchmal wahnsinnig macht. Deshalb ist es in erster Linie wichtig, ein gutes Selbstwertgefühl zu entwickeln und dem anderen zu vertrauen. Dann macht man sich nicht so viele Sorgen.

STANDARD: Was müssen Paare beachten, die eine offene Beziehung führen möchten?

Berger: Sie müssen ganz viel miteinander reden und gewisse Regeln festlegen. Was auch wichtig ist: dass die Dinge, die man sich anfangs ausmacht, nicht in Stein gemeißelt sind. Nur weil einmal etwas so beschlossen wurde, muss das nicht für immer so bleiben. Wenn ich etwa feststelle, dass ich es doch wissen will, was der, die Partner:in bei einem Treffen mit anderen gemacht hat, kann ich das ansprechen.

STANDARD: Kann man eine Beziehung retten, indem man sie öffnet?

Berger: Nein. Das probieren viele als letzten Ausweg. In den meisten Fällen führt das aber zum jähen Ende. Besser wäre es, die Nähe zueinander wiederherzustellen. Die goldene Regel für jede Beziehung ist 5:1. Das bedeutet, dass es auf jede Kritik fünfmal etwas Positives braucht: Lob, Wertschätzung, Aufmerksamkeiten, solche Dinge. Wenn beide diese Regel beachten, bleibt die Beziehung halbwegs im Lot. (Interview: Lisa Breit, 12.4.2022)