Bernstein ist ein beliebter Schmuckstein. Und während bei anderen edlen Steinen Einschlüsse in der Regel den Wert mindern, können sie bei Bernstein besonders kostbar sein. Bernstein ist Jahrmillionen altes, fossiles Harz, das manchmal für kleine Tiere zur Todesfalle wurde. Die Überreste dieser Tiere sind in dem festen, durchsichtigen Material perfekt konserviert – eine Tatsache, die bereits im Filmklassiker "Jurassic Park" erzählerisch verarbeitet wurde, wo dank Blutresten aus in Bernstein eingeschlossenen Stechmücken die Dinosaurier genetisch wiederauferstehen durften.

Diese Hollywoodvision, die auf einen Wissenschaftsthriller von Michael Crichton zurückgeht, hat sich bis heute nicht erfüllt. Doch das ändert nichts daran, dass Bernstein immer wieder Einblicke in längst vergangene Zeiten gewährt, die manchmal bisher Bekanntes auf den Kopf stellen.

Gemeinsam mit der Eidechse finden sich unzählige aasfressende Insekten in dem Bernstein.
Foto: Solórzano Kraemer / Senckenberg / Peretti Museum Foundation

Besonders spektakulär sind seltene Funde in Bernstein eingeschlossener Reptilien. Eine Forschungsgruppe vom Senckenberg-Forschungsinstitut und vom Naturmuseum Frankfurt hat nun mehrere solche Bernsteine analysiert und die Ergebnisse im Fachjournal "Scientific Reports" veröffentlicht. Diese Einschlüsse kleiner Wirbeltiere sind für die Forschung interessant, weil die Kadaver manchmal aasfressende Insekten anzogen, die ebenfalls in die Falle gingen. Das liefert die außergewöhnliche Möglichkeit, mehr über die Lebensweise dieser Insekten zu erfahren.

Seltene Glücksfälle

"Solche Inklusen sind ausgesprochen rar", betont Studienleiterin Solórzano Kraemer. "Vermutlich, da sich die Reptilien aufgrund ihrer Körpergröße oft wieder aus dem klebrigen Harz befreien konnten." Dennoch gibt es eine Reihe von Funden, auf die Kraemers Team zurückgreifen konnte. "Wir haben drei herausragende Bernsteine aus Myanmar untersucht, in denen jeweils eine Eidechse gemeinsam mit einer Vielzahl aasfressender Insekten in derselben versteinerten Harzschicht eingeschlossen ist", berichtet Kraemer.

Von besonderem Interesse für Kraemers Team war ein Bernstein von etwa fünf Zentimeter Länge, in dem sich neben einer Eidechse der heute ausgestorbenen Art Oculudentavis naga in insgesamt 13 Harzschichten über 130 tierische und pflanzliche Einschlüsse aus einer Zeit von vor 99 Millionen Jahren fanden. Die Eidechse selbst wurde bereits 2021 wissenschaftlich untersucht, doch eine Analyse der anderen Einschlüsse fehlte.

Fenster für Verwesungsgeruch

"Das Besondere ist, dass die Schicht, in der die Eidechse eingeschlossen ist, ein 'offenes Fenster' erkennen lässt, einen kleinen Bereich am Hals, in dem der Kadaver nur unzureichend von Harz bedeckt ist", sagt Kraemer. "So konnte sich vermutlich Verwesungsgeruch verbreiten, der verschiedene nekrophage und räuberische Fliegen in großer Zahl anlockte, die dann wiederum im Harz klebenblieben und konserviert wurden." Sie spricht von einer "Aasfresserfalle".

Ein 3D-Modell der eingeschlossenen Eidechse zeigt die Lücke am Hals gut. Hier ließ das Harz anfangs ein Fenster offen, durch das Aasfresser eindrangen und das Gewebe zerstörten. Einige von ihnen blieben im umgebenden Harz kleben.
Foto: Arnau Bolet

Eine Untersuchung der eingeschlossenen Insekten offenbarte, dass es sich großteils um Fliegen handelte, die auch heute noch eine wichtige Funktion als sogenannte Destruenten beim Zersetzen von Kadavern haben. Einige der Individuen konnten den auch heute noch verbreiteten Buckelfliegen und Tanzfliegen zugeordnet werden. Zum Vergleich führte das Team auch Versuche mit Klebefallen durch, die demonstrieren sollten, wie ein zeitgenössischer Tierkadaver von Insekten bevölkert wird. Dabei zeigte sich, dass heutzutage Ameisen neben Fliegen zu den ersten Aasfressern gehören, die sich über ein verendetes Tier hermachen. Im Bernstein fanden sich allerdings keine Ameisen.

Laut der Studie lässt sich das als Hinweis dafür interpretieren, dass Ameisen vor 99 Millionen Jahren noch nicht auf Aas spezialisiert waren. Die Insekten, die heute weitverbreitet sind und über mehr Biomasse verfügen als alle wild lebenden Säugetiere zusammen, sind etwa 30 Millionen Jahre zuvor entstanden und dürften sich erst nach und nach in die Aasfresser verwandelt haben, die sie heute sind.

Heutige Ameisen machen sich in Rekordzeit über Kadaver her, wie diese Zeitrafferaufnahme zeigt. In Bernstein aus der Kreidezeit fehlen die Tiere aber.
NeoGe83

Die einzige Interpretation ist das freilich nicht. Ameisenfunde aus der Kreidezeit sind sehr selten. Um diese Frage zu klären, wird es weitere Forschung brauchen.

Unterscheidung der Schichten

Die Studie betont die Wichtigkeit der Analyse einzelner Schichten von Bernstein und ihrer zeitlichen Reihenfolge in Funden mit verschiedenen Lebewesen. "Oft befinden sich scheinbar gemeinsam in Bernstein konservierte Lebewesen in unterschiedlichen, benachbarten Schichten – die räumlich Nähe suggeriert eine biologische Beziehung, die so gar nicht bestanden haben muss", sagt Kraemer. Das werde derzeit nicht konsequent getan. Doch nur wenn verschiedene Tiere in derselben Schicht gefunden werden, lasse sich tatsächlich eine Aussage über ihr Zusammenleben treffen.

Das Team schlägt vor, den gängigen Begriff der "Syninclusion", der das gemeinsame Auftreten verschiedener biologischer Spezies in einem Bernstein bezeichnet, weiter zu verfeinern. "Eusyninclusion" soll künftig das Auftreten in der gleichen Bernsteinschicht bezeichnen, während "Parasyninclusion" das Auftreten in verschiedenen Schichten bedeuten soll.

Neben der Eidechse und den sie verzehrenden Insekten gab es übrigens noch einen großen Käfer, der nur grob der Überfamilie der Elateroidea zugeordnet werden konnte, zu der beispielsweise die Glühwürmchen gehören. Ob es sich bei dem Exemplar auch um einen Aasfresser handelte, ließ sich nicht klären. Vielleicht war er ja die Beute der Eidechse. Der Aufbau der Schichten belegt jedenfalls, dass der Käfer vor der Eidechse da war. (Reinhard Kleindl, 6.3.2023)