Tanzende Menschen in einem Club. 
Tanzen, feiern, einfach Spaß haben. Doch viele Frauen sprechen nun über die Schattenseiten der Wiener Clubszene.
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Der Bass wummert, Stroboskoplichter flackern. Die Menge tanzt, schwitzt. International erfolgreiche DJs sind Stars, sie verdienen 100.000 Euro und mehr an Gage. Techno erlebt ein Revival – an den Strukturen der Branche hat sich jedoch wenig geändert. Die Booker, Veranstalter und Clubbesitzer sind vorwiegend männlich. Es ist eine kleine Szene, in der man einander kennt.

Nun werden Stimmen laut, die Sexismus und Übergriffe anprangern. Darunter jene der Technoveranstalterin Frederika Ferková, Gründungsmitglied des feministischen Partykollektivs "Hausgemacht", das unter anderem sexpositive Partys veranstaltet. Die Gruppe gilt in der Wiener Partyszene als Vorreiter beim Schutz der Partygäste vor Übergriffen und sexualisierter Gewalt.

Wohl auch deshalb wandte sich eine Vertrauensperson einer jungen Frau an Ferková. Ein bekannter Veranstalter habe die Frau zu einem beruflichen Treffen in seine Wohnung eingeladen, dabei sei es zu einem Übergriff gekommen. Die Frau suchte unmittelbar danach ein Spital auf, dort wurde die Polizei eingeschaltet. Der Mann kam in U-Haft, es wurde Anklage wegen des Vorwurfs der Vergewaltigung erhoben. Verurteilt wurde er wegen Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung und Körperverletzung. Der Mann spricht auf Nachfrage von einem Fehlurteil. Ihm werde mit den Vorwürfen zu Unrecht die berufliche Existenz zerstört.

Griffe auf den Po

DER STANDARD hat die Frau kontaktiert. Sie leide immer noch psychisch unter den Folgen des Übergriffs, sagt sie. Besonders frustriert sie, dass der Täter weiter Partys organisiert, als ob nichts passiert wäre. Sie habe die Technoszene und sogar Österreich nach dem Vorfall verlassen. Sie wie auch alle anderen Zeuginnen und Betroffenen, mit denen DER STANDARD gesprochen hat, haben ihre Erlebnisse per eidesstattliche Erklärung versichert.

Ferková und andere Aktivistinnen kritisieren, dass Teile der Szene über die Vorwürfe und die Verurteilung des Mannes Bescheid gewusst hätten – trotzdem habe er weiter prestigeträchtige Aufträge erhalten. Es sei ein männliches Buddysystem, sagen viele aus der Szene.

Ferková sieht darin ein strukturelles Problem und startete einen Aufruf. Wer Übergriffe in der Technoszene erlebt habe, solle sich melden. Bei ihr landeten Vorwürfe gegen Clubbesitzer, Booker und Veranstalter – und deren Umfeld, das angeblich immer wieder wegschaue.

Frederika Ferková, Gründungsmitglied des feministischen Partykollektivs
Frederika Ferková, Gründungsmitglied des feministischen Partykollektivs "Hausgemacht", sieht strukturelle Probleme in der Clubszene.
Lukas Hagelmüller

Ist die Technoszene für Übergriffe besonders anfällig? Die Grenzen zwischen Privat- und Berufsleben verschwimmen schnell. "Es ist auch eine berauschte Szene", sagt Ferková, das könne man nicht leugnen. Dass viele Übergriffe am DJ-Pult, hinter der Bar oder im Backstagebereich nicht gemeldet würden, habe auch mit den prekären Arbeitsverhältnissen in der Szene zu tun. Viele arbeiten als Selbstständige. Sie haben Angst, nicht mehr engagiert zu werden, wenn sie Übergriffe melden.

Die gesetzlichen Bestimmungen für Selbstständige sind, wie in vielen Bereichen der Kulturszene, unregulierter, heißt es auch bei der Gleichbehandlungsanwaltschaft. Es gibt keine ausdrückliche Verpflichtung, dass Auftraggeber Maßnahmen zur Verhinderung sexueller Übergriffe setzen müssen. Sie sind zwar haftbar, wenn sich einer ihrer Mitarbeiter übergriffig verhält – aber wenn ein Opfer gegen ein Fehlverhalten rechtlich vorgehen will, dann stößt es auf viele Hürden.

Dass sich niemand traue, eine Anzeige zu erheben, ist laut Insidern einer der Gründe, wieso eine weitere Szenegröße trotz einschlägigen Rufs nach wie vor einen der bekanntesten Technoclubs Wiens betreibe. Ein ehemaliges langjähriges Teammitglied sagt, dass es bereits vor dem ersten Dienst vor dem Chef gewarnt wurde. "Aber ich war jung und habe mir darüber ehrlich gesagt nicht so viele Gedanken gemacht. In meiner Anfangszeit hat er schnell versucht, mich auf den Mund zu küssen." Nach einem klaren Nein hielt sich der Chef daran.

DJ und Veranstalterin Therese Terror. 
DJ und Veranstalterin Therese Terror: "Nach außen hin hat sich etwas verändert. Aber im Kern, bei den Strukturen, so gut wie gar nichts."
Elsa Okazaki

Trotzdem hätten andere aus dem Team – Männer wie Frauen – berichtet, dass der Clubbetreiber ihnen an den Po gefasst, sie betatscht oder anzüglich angesprochen habe. Ein ehemaliger Securitymitarbeiter bestätigt diese mutmaßlichen Übergriffe: "Der Besitzer hat durch sein aggressives, sexistisches und übergriffiges Verhalten immer wieder für mehr Ärger gesorgt als die Gäste des Abends." Einem Mitarbeiter habe er sogar die Nase gebrochen; viele Teammitglieder wollen den Vorfall beobachtet haben. Anzeige habe es trotzdem keine gegeben. Diesen Vorfall bestätigt der Clubbesitzer auf Nachfrage. Er und sein Mitarbeiter hätten sich hier außergerichtlich geeinigt. Sexuelle Übergriffe weist er entschieden zurück: "Wir reden von einer Szene, in der 80 Prozent Drogen konsumieren, da entsteht Stille Post, und es wird sehr viel Blödsinn geredet." Was hier gerade passiere, gleiche einer Hexenjagd.

Die DJ und Veranstalterin Therese Terror weiß um die Bedingungen in der Branche: "Die Events passieren in der Nacht, es geht viel um Hedonismus, in Kombination mit Alkohol und Drogen. Das schafft ein schwieriges Feld, wenn man über Gewaltfreiheit sprechen möchte." Das könne aber keine Entschuldigung sein: "Es fehlt die Auseinandersetzung mit der Frage, warum so viele einflussreiche Männer in der Szene gewalttätig und übergriffig sind."

Keine Konsequenzen

Das unterstreichen die zahlreichen Erlebnisberichte, die dem STANDARD vorliegen – und die vom Einlass über die Bar bis auf die Tanzflächen reichen. So berichtet eine ehemalige Garderobiere, von einem Kollegen in einem namhaften Wiener Club geschlagen worden zu sein. Die informierten Betreiber hätten nur gefragt, "was sie denn da aufgeführt hätte". Die Betroffene kündigte daraufhin sofort. Gäste einer sexpositiven Party erzählen von Belästigung durch zwei männliche Gäste, die Security habe zwar behauptet, die Gäste rauswerfen zu wollen, passiert sei das allerdings nicht. In beiden Fällen gab es für die mutmaßlichen Täter keine Konsequenzen, obwohl die Betroffenen versuchten, sich Hilfe zu holen.

Um Übergriffe auf Technopartys zu verhindern, werden immer öfter sogenannte Awarenessteams eingesetzt. Deren Aufgabe besteht darin, Partygästen einen möglichst sicheren Raum zu bieten. Parteilichkeit zugunsten betroffener Personen, Nüchternheit, die Arbeit in Teams von mindestens zwei Personen je Bereich und ein ausgeglichenes Geschlechterverhältnis bei den Awarenessteams gelten als Mindestanforderungen eines guten Sicherheitskonzeptes, sagen Solomon Gärtner und Ilona Lerner vom "Hausgemacht"-Team.

Das scheint nicht immer zu funktionieren. Eine Insiderin berichtet von einem szenebekannten Veranstalter, der zwar mit Awarenesskonzepten werbe, aber mitunter nicht geschulte und berauschte Personen einsetze. Sogar ein Mann, dem selbst übergriffiges Verhalten vorgeworfen worden sei, fungiere dort als Awarenessperson.

Respektvoller Umgang

Der Veranstalter weist diese Vorwürfe zurück. Er betont, dass ihm eine verantwortungsvolle Awareness-Arbeit sehr wichtig sei und es im von ihm gegründeten Kollektiv dahingehend große Expertise gebe. Es würden in der Technoszene derzeit viele falsche Gerüchte kursieren.

Das Bewusstsein für sexualisierte Übergriffe sei in den letzten Jahren gestiegen, auch in der Clubszene. "Clubs und Veranstalter kommen nicht mehr darum herum, Frauen als DJ zu buchen", sagt Therese Terror. "Nach außen hin hat sich etwas verändert. Aber im Kern, bei den Strukturen, so gut wie gar nichts."

Die Vienna Club Commision (VCC) hat sich zum Ziel gesetzt, das Nachtleben sicherer zu gestalten. Derzeit arbeitet das VCC-Team an einer Workshopreihe für das Personal bei Clubs und Events. Einen möglichen Hebel sieht Geschäftsführerin Martina Brunner in der Vergabe von Fördermitteln, etwa durch die Stadt Wien. Eine Idee wäre etwa ein Verhaltenskodex für einen respektvollen Umgang, zu dem sich die Veranstalter und Veranstalterinnen verpflichten. "Nachgewiesene Verstöße dagegen könnten dann ein Kriterium bei der Fördervergabe sein", sagt Brunner.

Die Recherchen zeigen: In der Szene ist viel in Bewegung. Awarenesskonzepte und Anlaufstellen für Betroffene entstehen vielfach erst. Aber selbst die können ein Problem nicht lösen: Gerade bei sexualisierten Übergriffen hindern Scham und die Befürchtung, nicht ernst genommen zu werden, die Opfer am Gang zur Polizei. Dazu mischt sich die Angst, dass sie ihren Job verlieren könnten – und alles so bleibt, wie es war. (Beate Hausbichler, Antonia Rauth, 18.8.2023)