Bundeskanzler Karl Nehammer wurde bei einem Besuch in Hallein gefilmt. Zwei Monate später ging das Video viral.
APA/BARBARA GINDL

Das Video, in dem Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) über Teilzeit arbeitende Frauen und Kinder, die keine warme Mahlzeit bekommen, spricht, sorgte am Donnerstag für heftige Kritik. Doch das Video ist nicht neu. Es entstand am 26. Juli bei einem Besuch der Halleiner ÖVP in der neu eröffneten Vinothek Konoba Pinna Nobilis.

Kanzler Nehammer besuchte zusammen mit Europaministerin Karoline Edtstadtler die Halleiner Stadtpartei. Unter den anwesenden ÖVP-Mitgliedern waren der ehemalige Salzburger Finanzlandesrat Christian Stöckl, der Halleiner Stadtparteiobmann Florian Scheicher, Vizebürgermeisterin Katharina Seywald, der Kuchler Bürgermeister Thomas Freylinger und einige Wirtschaftstreibende.

Video: So reagieren Menschen, wenn sie das Video von Bundeskanzler Karl Nehammer über arme Menschen sehen. Darin rät er Eltern indirekt, einen billigen Hamburger zu kaufen, wenn sie ihren Kindern eine warme Mahlzeit servieren wollen
DER STANDARD

Am nächsten Tag empfing Nehammer die Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, zur Eröffnung der Salzburger Festspiele.

"Man kann in Österreich alles sagen"

Warum wird dieses Video zwei Monate später veröffentlicht und geht viral? DER STANDARD hat sich auf Spurensuche begeben: Gepostet hat das Video am Mittwochabend Beatrice Keplinger, die im Marketing tätig ist. Sie habe das Video selbst um 18 Uhr von einer Freundin zugespielt bekommen, dann einen 50-sekündigen Zusammenschnitt davon angefertigt, um es auch in der Story posten zu können, und hochgeladen, schildert sie im Gespräch mit dem STANDARD. Sie habe das Video als Privatperson hochgeladen, weil es sie geärgert habe. "Man kann in Österreich alles sagen. In Deutschland müsste man zurücktreten", sagt Keplinger. Das Video kursiere jedoch schon länger, mutmaßt die Oberösterreicherin. "Ich glaube, es hat einen weiten Weg hinter sich."

Aber wer hat das Video gedreht? Hatte sich gar jemand von der Parteikonkurrenz unter das Publikum gemischt, um Nehammer zu schaden? Die bisherigen Recherchen des STANDARD zeigen Gegenteiliges. Das Videomaterial kommt ursprünglich aus der ÖVP. Das bestätigt nun auch die Salzburger Landesgruppe. "Das Video wurde von einem Besucher aufgenommen, der es an Freunde und Gruppen weitergeleitet hat, weil er von den klaren Aussagen des Kanzlers zum Mittelstand, zu Leistung und Eigenverantwortung begeistert war", sagt der dortige Generalsekretär Wolfgang Mayer.

Ursprünglich soll das Video also aus reiner Zustimmung entstanden sein. Über eine andere Bande sei es dann an die Öffentlichkeit gelangt. Diesmal jedoch, um Nehammer zu schaden, ist man sich innerhalb der Volkspartei sicher.

Mayer verdächtigt die SPÖ, hinter der nunmehrigen Veröffentlichung zu stecken: "Offensichtlich ist dieses Video mehrfach weitergeleitet worden und schließlich bei der SPÖ gelandet. Von dort wurde es gekürzt an die Medien gespielt." Und weiter: "Es ist auffällig, dass das Video am Tag nach der SORA-SPÖ-Affäre und am Höhepunkt des Wiener Umwidmungsskandals den Weg in die Öffentlichkeit fand. Und dies fast nach SORA-Drehbuch – Stichwort 'depressive Stimmung' verbreiten, Feindbilder betonen."

„Das Video zeigt aber auch, dass der Kanzler den direkten Kontakt sucht und offen – vielleicht auch etwas pointiert – mit den Menschen auch über Fehlentwicklung diskutiert", sagt Mayer. "Womöglich wäre mancher der jetzt so Empörten gut beraten, sich wie Karl Nehammer mit Menschen außerhalb ihrer kleinen Blase ernsthaft auszutauschen." Die Volkspartei wolle sich jedenfalls nicht durch "inhaltslose Angriffe der oppositionellen Weltuntergangsallianz" von ihrem Weg abbringen lassen.

Szenen kursieren schon länger

In türkisen Kreisen war man durchaus erschrocken darüber, dass sich das Video in den sozialen Netzwerken immer stärker verbreitete. In der Essenz werden Nehammers Aussagen aber unterstützt. Das Video treffe vielleicht nicht den Ton der intellektuellen Elite im christlich-sozialen Milieu, das sei mehr Stammtischniveau, ist zu hören. Aber Ersteres zu erreichen wird Nehammer ohnehin nicht besonders zugetraut. Auch der verächtlich wirkende Sager gegen die Wirtschaftskammer und die Sozialpartnerschaft im Allgemeinen sei in der Standesvertretung "überhaupt" kein Thema, sagt ein hochrangiger Funktionär, der anonym bleiben will.

Die Gerüchte verdichteten sich, dass die Salzburger Grünen das Video weitergeleitet hätten. Doch der ehemalige Koalitionspartner der Salzburger ÖVP, dessen Bundespartei mit Nehammer die Bundesregierung stellt, dementiert: Das Video sei nicht von ihnen erstellt oder verbreitet worden. "Wer das mit welchem Interesse tut, können wir nicht sagen", heißt es in einer Stellungnahme. Aber zumindest kennen die Salzburger Grünen das Video schon länger. "Richtig ist, dass das Video schon seit kurz nach der Entstehung kursieren dürfte", heißt es in dem offiziellen Kommentar. (Jan Michael Marchart, Stefanie Ruep, 28.9.2023)