"In der Eurozone geht es weiter bergab." Der Chefvolkswirt der Hamburg Commercial Bank, Cyrus de la Rubia, zeichnet ein düsteres Bild von der Konjunktur in der Währungsunion: Das verarbeitende Gewerbe befinde sich seit 16 Monaten im Abwärtstrend, der Dienstleistungssektor seit drei Monaten. "Wir wären also nicht überrascht, wenn wir in der zweiten Jahreshälfte eine leichte Rezession in der Eurozone erleben würden", sagt de la Rubia über die Bremsspuren in der Wirtschaft der Eurozone.

Der EZB-Tower in Frankfurt vor Sonnenuntergang.
Wird die EZB am Donnerstag die Zinsen neuerlich erhöhen? Die meisten Fachleute gehen nicht davon aus, ihnen zufolge dürften die Zinsen vorerst nicht weiter steigen.
IMAGO/Florian Gaul

Belastet wird die Konjunktur vor allem von dem stark gestiegenen Zinsniveau. Schließlich hat die Europäische Zentralbank (EZB) den Leitzins seit Juli 2022 in zehn Schritten im Rekordtempo von null auf 4,5 Prozent gehievt. Der Satz für Bankeinlagen bei der Zentralbank wurde im selben Ausmaß auf vier Prozent erhöht. Gleichzeitig ist auch die Inflation in der Eurozone deutlich zurückgekommen, nämlich auf 4,3 Prozent im September. Das dürfte der Notenbankchefin Christine Lagarde wohl genug Spielraum eröffnen, bei der Zinsentscheidung am Donnerstagnachmittag von einer weiteren Erhöhung abzusehen.

Stabil auf hohem Niveau

"Die noch immer zu optimistische Konjunkturprognose der EZB gerät unter Druck. Die EZB dürfte ihre Zinsen weder am Donnerstag noch auf den Sitzungen danach erhöhen", sagt Chefvolkswirt Jörg Krämer von der Commerzbank. Ähnlich sieht das Anlageexperte Jill Hirzel vom britischen Vermögensverwalter Insight Investment, der ebenfalls von einem stabilen Zinsniveau ausgeht: "Aus geldpolitischer Sicht ist die EZB-Sitzung am Donnerstag mehr oder weniger beschlossene Sache, denn eine Änderung der Zinspolitik ist höchst unwahrscheinlich", sagt er.

Aber wie geht es danach weiter? Wie wird die EZB-Spitze um Lagarde bei der darauffolgenden Sitzung im Dezember entscheiden? "Obwohl sich die Wirtschaft der Eurozone verlangsamt, besteht weiterhin ein Inflationsproblem", betont der Anlagestratege Guillermo Felices vom Vermögensverwalter PGIM Fixed Income. Dennoch erwartet er, dass die EZB die Zinserhöhungen vorerst abgeschlossen haben und auf absehbare Zeit beim aktuellen Zinssatz bleiben sollte. Spielraum für Zinssenkungen sieht Felices wegen des Inflationsdrucks – die Notenbank strebt eine Teuerung von zwei Prozent an – allerdings nicht.

Abbau der Corona-Hilfen

"Der EZB-Rat hat bereits angekündigt, die Zinssätze für eine längere Zeit auf einem restriktiven Niveau zu halten, um sicherzustellen, dass die Wirkung der Geldpolitik weiterhin spürbar ist", ergänzt Volkswirt Shaan Raithatha von Vanguard Europe. Seine Erwartung: Das Zinsniveau werde bis zur zweiten Hälfte des Jahres 2024 unverändert bleiben.

Weniger Einigkeit als bei den Zinserwartungen herrscht unter Fachleuten über den künftigen Abbau des Anleihebestands, den die EZB im Zuge des Pandemienotprogramms Pepp ab 2020 erworben hat. Bisher hat die Notenbank ausgelaufene Schuldverschreibungen reinvestiert und wollte erst Ende 2024 mit dem Abschichten der Pepp-Bestände beginnen. Wird Lagarde dies nun früher als ursprünglich geplant startet? "Wir sind weiterhin der Ansicht, dass es für einen schnellen Bilanzabbau noch zu früh ist", sagt Volkswirt Hugo Le Damany von Axa Investment Managers. Seiner Ansicht nach sollte frühestens im Dezember darüber entschieden werden. (Alexander Hahn, 26.10.2023)