Nach zehn Erhöhungen in Folge hat die Europäische Zentralbank (EZB) das Zinsniveau am Donnerstag konstant gehalten. Der Leitzins liegt somit weiterhin bei 4,5 Prozent, Bankeinlagen bei der Notenbank spielen unverändert vier Prozent Zinsen ein. Fachleute gehen davon aus, dass damit der Zinsgipfel erreicht wurde. Denn die Inflation in der Eurozone geht bereits sukzessive zurück, zudem gerät die Konjunktur durch die straffere Geldpolitik zusehends in unruhiges Fahrwasser.

In einem Statement der EZB von Donnerstag heißt es, dass sich die Inflation der Eurozone zwar nach wie vor auf hohem Niveau befinde, sie aber im September stark auf 4,3 Prozent zurückgegangen sei. Man arbeite mit Nachdruck daran, dass sich die bisherigen Zinserhöhungen auf die Finanzierungsbedingungen niederschlagen, um die Nachfrage und damit auch die Inflation zu senken. Das Ziel der EZB ist bekanntlich eine Inflationsrate von zwei Prozent.

Bei einer Pressekonferenz gestand EZB-Präsidentin Christine Lagarde ein, dass sich die EU-Wirtschaft weiter schwach entwickle. Investitionen und Konsumausgaben gehen zurück, die schlechte Auftragslage in der Industrie wirke sich mittlerweile auch auf andere Wirtschaftssektoren aus. Mit sinkender Inflation wird der Konsum im nächsten Jahr aber wieder steigen und die Wirtschaft stützen, betonte Lagarde.

Christine Lagarde bei der Pressekonferenz der EZB.
EZB-Präsidentin Christine Lagarde zeigte sich bei einer Pressekonferenz am Donnerstag zuversichtlich, dass die Inflation weiter sinkt.
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Hohe Zinsen zeigen Wirkung

Unter Fachleuten wie Anlageexperte Jill Hirzel vom Vermögensverwalter Insight Investment galt es schon im Vorfeld als "mehr mehr oder weniger beschlossene Sache", dass die EZB nicht weiter an der Zinsschraube drehen wird. Die EZB-Spitze unter Chefin Lagarde wird das Zinsniveau wohl für längere Zeit auf aktueller Höhe belassen. "Der EZB-Rat hat bereits angekündigt, die Zinssätze für eine längere Zeit auf einem restriktiven Niveau zu halten, um sicherzustellen, dass die Wirkung der Geldpolitik weiterhin spürbar ist", ergänzt Volkswirt Shaan Raithatha von Vanguard Europe. Seine Erwartung: Das Zinsniveau werde bis zur zweiten Hälfte des Jahres 2024 unverändert bleiben.

Dabei setzt das emporgeschnellte Zinsniveau der Wirtschaft in der Eurozone stark zu. "In der Eurozone geht es weiter bergab", sagt der Chefvolkswirt der Hamburg Commercial Bank, Cyrus de la Rubia: Das verarbeitende Gewerbe befinde sich seit 16 Monaten im Abwärtstrend, der Dienstleistungssektor seit drei Monaten. "Wir wären also nicht überrascht, wenn wir in der zweiten Jahreshälfte eine leichte Rezession in der Eurozone erleben würden", sagt der Experte. In Österreich und Deutschland ist die Wirtschaftsleistung ohnedies bereits rückläufig. Zudem hat sich der Rückgang der Geldmenge in der Eurozone im September fortgesetzt, und die Kreditvergabe wächst kaum noch.

Für Kreditnehmer mit variabler Verzinsung dürfte die Belastungsprobe durch hohe monatliche Rückzahlungen jedenfalls länger anhalten, da Zinssenkungen der EZB nicht in Sicht sind. Derzeit werden Informationen des Vergleichsportals Durchblicker zufolge für einen variabel verzinsten Immobilienkredit mittlerweile etwa fünf Prozent fällig. Zum Vergleich: Fixzinskredite für zehn oder 20 Jahre sind demnach um knapp über vier Prozent zu haben. En Umstieg kann sich also für jene Haushalte lohnen, denen das Wasser wegen der hohen Inflation bei gestiegenen Kreditkosten finanziell bis zum Hals steht – und davon gibt es etliche.

Finanzielle Engpässe

Im Juni befürchteten laut einer Umfrage hochgerechnet 200.000 Haushalte in Österreich, ihre variablen Kredite womöglich nicht mehr bedienen zu können. Diese Zahl habe seither eher zu- als abgenommen, sagt Durchblicker-Experte Martin Spona mit Blick auf die inzwischen um einen halben Prozentpunkt gestiegene Zinslast. Warum so viele Menschen in der Nullzinsphase der EZB bis Mitte 2022 auf variable statt auf fix verzinste Kredite gesetzt haben? Spona interpretiert dies dahingehend, dass viele junge Erwachsene bisher noch nie eine Hochzinsphase erlebt haben und deshalb bei den vermeintlich günstigeren variablen Finanzierungen zugegriffen hätten.

Die finanziellen Engpässe der Haushalte machen sich auch bei Konsumkrediten bemerkbar, deren Volumen Spona zufolge im September um 35 Prozent über dem Vorjahreswert gelegen ist. Zudem werden sie auch sukzessive teurer. "Wir bemerken, dass die Durchschnittszinsen von Monat zu Monat bei vergleichbarer Bonität um 0,3 Prozentpunkte steigen", sagt der Experte. Zudem würden immer mehr Kreditanträge abgelehnt. Auffallend: Mehr als 42 Prozent der Verbraucherkredite betreffen Finanzierungen bis zu 10.000 Euro. "Die kleinen Beträge deuten darauf hin, dass die Kredite zum Überbrücken von finanziellen Engpässen verwendet werden", sagt Spona.

Gestiegene Sparzinsen

Bewegung ist durch die vielen Zinsschritte der EZB jedoch in die Einlagenzinsen gekommen, obwohl die Arbeiterkammer (AK) die mickrigen Zinsen vieler Banken für ungebundene Spareinlagen kritisiert. "Unser Sparzinsenmonitor zeigt einige Unterschiede bei den Zinsen. Trotzdem sind sie für täglich fälliges Geld vor allem in den Filialbanken noch immer zu niedrig", sagt AK-Konsumentenschützerin Gabriele Zgubic. Sie fordert eine Anhebung der Zinsen für täglich fälliges Geld auf den EZB-Einlagenzinssatz von vier Prozent. Dieses Zinsniveau ist derzeit in Österreich allerdings erst ab einem Jahr Bindung zu bekommen. "Wir kommen in sinnvolle Regionen", kommentiert Durchblicker-Experte Spona die Entwicklung der Einlagenzinsen. (Alexander Hahn, 26.10.2023)