Erstmals seit Beginn des Zinsanhebungszyklus im Juli 2022 hat die Europäische Zentralbank (EZB) von einer weiteren Erhöhung abgesehen. Vorerst will die Zentralbank unter Chefin Christine Lagarde die Auswirkungen des im Rekordtempo von null auf 4,5 Prozent erhöhten Leitzinses abwarten, wobei der volle Effekt erst für 2024 erwartet wird. Nicht angefasst haben die Währungshüter auch andere Stellschrauben zur Verschärfung der Finanzierungsbedingungen in der Eurozone, nämlich die Mindestreserve der Banken und den Abbau der im Zuge des Corona-Notprogramms Pepp gekauften Anleihen.

Der EZB-Tower in Frankfurt.
Die EZB schiebt den Abbau der im Zuge der Coronahilfen gekauften Wertpapiere vor sich her.
IMAGO

Lagarde sagte nach dem Zinsbeschluss, das Thema Pepp sei bei dem Treffen am Donnerstag gar nicht diskutiert worden. Worum geht es dabei? Zur Abfederung der Auswirkungen der Corona-Pandemie erwarb die EZB ab März 2020 zusätzliche Staatsanleihen im Wert von 1,7 Billionen Euro. Bisher werden getilgte Schuldpapiere umgehend wieder investiert, sodass dem Finanzmarkt kein Kapital – nämlich die Nachfrage der EZB, die die Anleihenrenditen bisher tief hält – entzogen wird.

Unpassende Anleihenkäufe

Gemäß ursprünglichen Plänen sollte dies bis Ende 2024 so weitergeführt werden. Einige Währungshüter, darunter auch Nationalbankchef Robert Holzmann, forderten jedoch eine Diskussion über ein vorzeitiges Ende der Käufe. Schließlich sind derartige Anleihenkäufe Bestandteil einer lockeren Geldpolitik und passen daher eigentlich nicht zum aktuellen Straffungskurs der Zentralbank.

Es geht also darum, die während der lockeren Geldpolitik entstandene Überschussliquidität wieder zu absorbieren. Dass dies ein schleppender Prozess ist, zeigt sich am älteren und größeren Kaufprogramm App. Bei diesem investiert die EZB seit Juli ausgelaufene Papiere nicht mehr. Im Rahmen des im März 2015 gestarteten App-Programms hält die EZB immer noch Schuldverschreibungen im Wert von 3,1 Billionen Euro, wobei der Bestand im September gerade einmal um 25 Milliarden Euro verringert wurde.

Höhere Mindestreserve

Gemäß der Einschätzung von Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer rückt bei der EZB auch das Thema Mindestreserven, die Geschäftsbanken auf einem Konto bei ihrer nationalen Notenbank halten müssen, in den Blickpunkt. "Auf Sicht der kommenden Monate können wir uns vorstellen, dass die Notenbanker den Mindestreservesatz von einem Prozent auf zwei Prozent anheben werden, um weniger Zinsen an die Geschäftsbanken zahlen zu müssen", meint Krämer.

Derzeit liegt die Mindestreserveanforderung bei einem Prozent der Kundeneinlagen eines Geldhauses. Allerdings hat die EZB den Instituten die Verzinsung dieser Gelder gestrichen, nachdem sie zuvor den Satz für Bankeinlagen bei der Notenbank – inzwischen vier Prozent – erhalten hatten. Eine Erhöhung der Mindestreserve würde mehr Kapital der Geschäftsbanken unverzinst binden. Insidern zufolge planen Währungshüter im kommenden Frühjahr einen erneuten Vorstoß, um die Zinszahlungen an die Banken zu senken. (Alexander Hahn, 27.10.2023)