Pamela Anderson in Vivienne Westwood bei der Pariser Fashion Week in Paris im September.
Pamela Anderson in Vivienne Westwood bei der Pariser Fashion Week in Paris im September.
IMAGO/ABACAPRESS

Mit ihrem ungeschminkten Auftritt hat Pamela Anderson bei der Pariser Fashion Week sehr viel Aufmerksamkeit generiert – und viel Applaus. Von Starkolleginnen wie Scarlett Johansson etwa, die sagte: "Das ist eine starke Botschaft für Frauen."

Ist es das? In jedem Fall ist es eine Botschaft über Schönheit in der Kulturindustrie, in der bereits etwas derart Harmloses als radikal durchgeht. "Weibliche Berühmtheiten arbeiten mit großem Aufwand daran, ihre Celebrity-Persona zu konstruieren", sagt Kulturwissenschafterin Elisabeth Lechner. Und aktuell ist das gewünschte Bild jedenfalls ein geschminktes. Berühmte Frauen kennt die Öffentlichkeit meist nur mit perfektem Make-up. "Selbst wenn sie natürlich auftreten, steckt viel Arbeit dahinter", sagt Lechner. Das würden zahllose Tiktok-Videos mit Anleitungen zum Nachmachen von Make-ups von berühmten Frauen verdeutlichen – in 25 Schritten zum "natural look".

Ein brutaler roter Teppich

Doch egal ob man sich für einen "natürlichen" Look entscheidet oder viel Glamour: Der rote Teppich ist für Frauen brutal. Dass Anderson sich traute, gerade hier ungeschminkt aufzutreten, hält Lechner nicht nur für einen kurzfristigen PR-Coup. Vielmehr komme dieser Auftritt nicht aus dem luftleeren Raum. Schon in der Dokumentation "Pamela: Eine Liebesgeschichte" (2023) zeigte sie sich ungeschminkt, allerdings in einem privaten Setting. "Auf dem roten Teppich herrscht der größtmögliche Schönheitsdruck", sagt Lechner, es sei sehr mutig, gerade dort mit der Norm zu brechen. Natürlich erreichte sie damit auch maximale Aufmerksamkeit. Wäre sie einfach hübsch geschminkt gewesen, hätte sie ein paar positive, ein paar negative Kommentare erhalten – und fertig. So aber war das Echo für einen weiblichen Star, dessen Glanzzeiten schon länger her sind, ungewöhnlich groß.

Keine richtige Art zu altern

Lechner findet es aber gerade bei der 56-jährige Anderson glaubwürdig, dass sie auch ganz bewusst in einen herrschenden Diskurs eingreifen wollte. "Es gibt für berühmte Frauen, die ihre Reichweite vor allem über ihr Schönheitskapital aufgebaut haben, keine richtige Art zu altern", sagt Lechner. Über Frauen, die gar nichts machen, wird gesagt, wie könne man sich nur so gehen lassen. Wer zu viel macht, hört, dass das ja nicht mehr "natürlich" sei.

Lechner findet es angesichts der Biografie von Anderson besonders interessant, dass sie sich nun klar gegen die Anforderung der "Fuckability" entscheidet. Frauen, die wie Anderson als Inbegriff der Sexyness galten, können selbst mit unzähligen Schönheitsmaßnahmen irgendwann einfach nicht mehr das frühere Bild erreichen, "vielleicht ist es ihr einfach schon komplett wurscht. Dieses Nonchalant-über-den-Normen-Stehen hat für mich etwas Befreiendes." Allerdings macht Lechner auch darauf aufmerksam, dass derlei nur möglich ist, wenn man grundsätzlich einen normschönen Körper hat.

"Fuckability" ist ein Begriff, der Frauen nach ihrer sexuellen Attraktivität bewertet. Die US-Schauspielerinnen, Comedians oder Autorinnen Amy Schumer, Tina Fey, Julia Louis-Dreyfus und Patricia Arquette haben mit "The Last Fuckable Day" schon vor Jahren einen Sketch zu der unsichtbaren Grenze für Frauen geliefert.

The Last Fuckable Day
Tina Fey, Julia Louis-Dreyfus, Patricia Arquette und Amy Schumer feiern den "Last Fuckable Day"
Comedy Central

Dass da viel dran ist, zeigte eine Studie über die schwindende Präsenz von Frauen ab 40 in Filmen – im Gegensatz zu Männern dieses Alters. Schwindet die Jungend bei Frauen, schwindet also auch die Sichtbarkeit.

Pseudosupport?

Doch warum unterstützen den Widerstand dagegen Kolleginnen wie Scarlett Johansson nicht auch durch Taten, sondern nur mit rhetorischem Support? "Man feiert jemanden dafür, dass sie die Kraft hat, da rauszutreten, aber man selbst würde es aufgrund unterschiedlicher Zwänge nicht schaffen", sagt Lechner. Scarlett Johansson ist 38, ein Alter, in dem es für Frauen knapp werde. Ihr Wert leite sich noch maßgeblich von ihrem Äußeren ab. Frauen dieses Alters würden da noch mittendrin stecken und müssten belegen, dass sie noch sexuelles Kapital haben, um auf den Popkulturmärkten gebucht werden zu können.

Letzten Endes hat ein Verzicht auf Make-up in jedem Fall ein widerständiges Element, ist Lechner überzeugt. "Keine Schminke zu verwenden ist schlicht Konsumboykott. Wenn das alle machen würden, dann bricht eine ganze Industrie zusammen."

Wie es User:innen mit dem Make-up-Verzicht halten, das haben wir Sie in unserer aktuellen "Feministischen Gewissensfrage" gefragt:

(Beate Hausbichler, 7.11.2023)