Die Europäische Zentralbank (EZB) hat die Zinsen bei ihrer Sitzung am Donnerstag unverändert belassen. Der Leitzins bleibt somit mit 4,5 Prozent auf dem zweithöchsten Stand seit der Euro-Einführung, bloß im Jahr 2000 war er kurzfristig um einen Viertelprozentpunkt höher gelegen. Banken erhalten für Einlagen bei der Notenbank weiterhin vier Prozent Verzinsung. Für Haushalte bedeutet das: Variable und neu zu vergebende Kredite bleiben bis auf weiteres teuer, allerdings sind auch bei den Sparzinsen wieder etwas höhere Erträge zu lukrieren.

EZB-Chefin Christine Lagarde auf einer Pressekonferenz.
Die Spekulationen über eine baldige Zinssenkung in der Eurozone schießen mittlerweile ins Kraut. Lässt sich EZB-Chefin Christine Lagarde davon beeinflussen?
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EZB-Chefin Christine Lagarde erwartet für eine Durchschnittsinflation von 2,7 Prozent, sagte sie am Donnerstagnachmittag in einer Pressekonferenz. Sie ergänzt, dass sich die Teuerung mit 2,1 Prozent im Jahr 2025 dem Zielwert von zwei Prozent stark annähern werde. Allerdings betont die Notenbankchefin, dass der zugrundeliegende Inflationsdruck hoch bleibe, vor allem wegen hoher Lohnzuwächse.

Für länger konstant

Lagarde hat bei der vergangenen Zinssitzung bereits angedeutet, das Zinsniveau für mehrere Quartale konstant halten zu wollen – eine Aussage, die an den Finanzmärkten zuletzt aber offenbar auf taube Ohren gestoßen ist. Denn seit Wochen wird dort vermehrt auf eine erste Zinssenkung der EZB im Frühjahr 2024 spekuliert, wie sich anhand diverser Marktbewegungen ablesen lässt. Am Mittwochabend hat der Chef der US-Notenbank Fed, Jerome Powell, die Zinssenkungsfantasien noch weiter angefacht. Er ließ den Leitzins zwar ebenfalls konstant in der Spanne von 5,25 bis 5,5 Prozent, signalisierte aber im Ausblick auf 2024, dass es im Jahresverlauf mit dem geldpolitischen Schlüsselsatz nach unten gehen dürfte – und zwar um 0,75 Prozentpunkte.

"Der völlig überraschende Schwenk der US-Notenbank Richtung baldiger Zinssenkungen setzt die EZB auf einmal unter enormen Druck, ihre Geldpolitik früher zu lockern als ihr lieb sein kann", sagt Chefanalyst Urlich Kater von der Deka Bank. Wobei Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer hofft, dass die Notenbank diesen nicht nachgibt: "Hoffentlich belässt die EZB ihre Leitzinsen lange genug auf dem derzeitigen Niveau." Sie dürfe nicht wegen ein paar überraschend niedriger Inflationsdaten einknicken, denn: "Wegen der stark steigenden Löhne dürfte sich die Inflation später im kommenden Jahr eher bei drei als bei zwei Prozent einpendeln."

Optimistische Märkte

"Die Märkte sind optimistisch, die Wissenschaft skeptisch", sagt Jan Kluge über baldige Zinssenkungen in der Eurozone – wobei er als Ökonom der Agenda Austria zu den Skeptikern zählt. "Die Erwartungen sind ins Kraut geschossen", sagt er mit Blick auf die Spekulationen auf sinkende Zinsen an den Finanzmärkten. Denn die sogenannte Kerninflationsrate liegt mit 3,6 Prozent immer noch deutlich über dem Zielwert der EZB.

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Warum ist dieser Wert für Währungshüter so bedeutsam? Dabei werden die schwankungsfreudigen Preis für Energie und Nahrung ausgeklammert, daher zeige die Kerninflation, "wie stark sich die Teuerung in die Wertschöpfungskette gefressen hat", also wie stark der Inflationsdruck in der Wirtschaft ist. "Zu glauben, die Inflationskrise sei morgen vorbei, ist zu optimistisch", sagt der Ökonom mit Blick auf die noch immer hohe Kerninflationsrate. Sollte die EZB den Fuß zu früh von der geldpolitischen Bremse nehmen, riskiere sie eine zweite Teuerungswelle, gibt Kluge zu bedenken.

Zinssenkungen ab März

"Für das nächste Jahr erwartet der Markt derzeit etwa sechs Zinssenkungen, die bereits im März beginnen", sagt Konstantin Veit vom Anleihespezialisten Pimco und fügt hinzu: "Wir sind nach wie vor skeptisch, dass die EZB die Zinssätze so früh senken wird." Denn die Aussichten für die zugrunde liegende Inflation seien weiterhin ungewiss. Niedrigere Zinsen erwartet Ökonom Hugo de Demany von AXA Investment Managers ab der Jahresmitte 2024, der auf die Möglichkeit eines schwächeren Arbeitsmarkts angesichts anhaltend schwachen Wachstums – im dritten Quartal schrumpfte die Wirtschaft der Eurozone um 0,1 Prozent – hinweist.

Am Donnerstag hat auch die Schweizerische Nationalbank (SNB) den Leitzins unverändert bei 1,75 Prozent belassen, aber gleichzeitig auch das Ende ihres straffen geldpolitischen Kurses eingeläutet. Und sie signalisierte damit auch eine mögliche geldpolitische Wende: Im Gegensatz zu früher ließ sie den Hinweis weg, dass eine weitere Straffung der Geldpolitik nötig werden könnte, um Preisstabilität zu gewährleisten.

Unabhängig davon, wann die EZB tatsächlich die Zinsen absenken wird – für Österreich würde dieser Schritt wohl zu früh kommen. Denn die Inflation beträgt hierzulande nämlich immer noch 5,4 Prozent und ist damit mehr als doppelt so hoch wie im Durchschnitt der Eurozone. Agenda-Austria-Ökonom Kluge verweist auf eine Kerninflation von immer noch mehr als sechs Prozent und sagt: "Für Österreich wäre eine Zinssenkung wirklich Gift." (Alexander Hahn, 14.12.2023)

Video: Das bedeutet die EZB-Zinspolitik für Verbraucher.
AFP