Eine junge Frau liegt am Boden mit zwei Schleifen auf den Augen und sie lacht
Statt mit den Eltern um den Christbaum zu stehen, lieber mit den Freunden feiern? Ein Traditionsbruch, der nicht leichtfällt.
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Mira (30), Pflegerin: "Zu mir kommen Fremde nach Hause und wir kochen gemeinsam"

"Meine Tochter verbringt den Heiligen Abend immer bei ihrem Vater. Ich bin seit acht Jahren Single – und mit meinen eigenen Eltern habe ich keinen Kontakt mehr. In den letzten Jahren habe ich am Heiligen Abend deshalb häufig gearbeitet, damit meine Kolleginnen mit ihren Familien feiern können.

Letztes Jahr hatte ich ein ganz wunderbares Weihnachtsfest. Als ich nach dem Dienst nach Hause gekommen bin, haben mich fünf Menschen besucht, die ich gar nicht kenne. Sie alle waren Couchsurfer aus unterschiedlichen Ländern, die für Weihnachten keine Pläne hatten. Ein Deutscher hat mir sogar auf Instagram geschrieben. Er war beruflich in Wien und wollte am 24. Dezember nicht alleine im Hotel sitzen. Also habe ich ihn auch noch eingeladen. Dann haben wir gemeinsam gekocht und geredet. Wir haben sogar gewichtelt, und jeder hat eine Kleinigkeit für etwa zehn Euro mitgebracht.

Heuer werde ich am 24. Dezember beim Spendentelefon von Licht ins Dunkel aushelfen. Danach werden sich bestimmt wieder einige Couchsurfer melden, mit denen ich dann den Abend verbringe. Wer weiß, vielleicht gehen wir anschließend noch irgendwohin feiern.

Viele Menschen sind gerade zu Weihnachten sehr einsam. Es ist schade, dass die meisten Österreicher ihre Türen verschlossen halten und es nur noch um Geschenke geht. In anderen Ländern, etwa in Polen, ist man für Besuch viel offener. Ich habe in den letzten Jahren als Single-Mama gelernt, dass man zu Weihnachten nicht allein sein muss. Man kann sich mit anderen zusammentun oder sich im Internet vernetzen. Das gelingt mir persönlich über diverse Facebook-­Gruppen sehr gut. Man muss sich nur trauen."

Marvin Hicks (18), TikToker: "Weihnachten verbringe ich bei einer andere Familie"

"Meine Eltern sind getrennt. Seit ich klein bin, habe ich Weihnachten deswegen immer bei meiner Mama verbracht. Leider hatten meine Mama und ich kein gutes Verhältnis zueinander. Ich bin mit sechzehn von zu Hause ausgezogen und habe ab dann mein eigenes Geld verdient. Mir war es schon immer wichtig, unabhängig zu sein. Heute verstehen wir uns viel besser.

Etwa zwei Monate vor Weihnachten habe ich mit ihr telefoniert, und wir hatten wieder einen Megastreit. Da habe ich gemerkt, dass ich einfach keine Lust habe, Weihnachten mit ihr zu verbringen. Ähnlich war es letztes Jahr, da habe ich Weihnachten bei meiner Mitbewohnerin und ihrer Familie in Deutschland verbracht. Nina ist nicht nur meine Mitbewohnerin, sondern auch meine beste Freundin. Ich habe mich bei ihrer Familie sofort wohlgefühlt. Es war ein ganz besonderes Weihnachten für mich, da es erstmals keinen Streit gab und ich nur von lieben Menschen umgeben war. Wir feierten den Heiligen Abend gemeinsam mit ihren Eltern, ihrer Schwester und den Großeltern. Dort wird Weihnachten auch voll zelebriert mit einem schönen Christbaum, gutem Essen und Geschenken. Ihr Vater ist ein richtig guter Koch, das hat mich sehr beeindruckt.

Dieses Jahr haben ihre Eltern schon von sich aus gefragt, ob ich wieder mitkommen möchte – und das werde ich. Wir fahren bereits am 21. Dezember hin und bleiben dann gleich eine ganze Woche. Wir wohnen in einem Dorf, wo absolute Ruhe herrscht. Mir tut das auch total gut, mal aus Wien rauszukommen und nicht ständig zu arbeiten. Ich verdiene mein Geld mit Social Media, da macht man kaum Pausen.

Meine Mutter ist sehr traurig, dass ich zu Weihnachten nicht mehr nach Hause komme. Sie hat versucht, mich zu überreden. Aber ich bin da ganz ehrlich und habe ihr auch die Gründe für meine Entscheidung genannt."

Nils (26), Pädagoge: "Mein bester Freund hat mich eingeladen"

"In den letzten Jahren habe ich den Heiligen Abend immer mit meinen Eltern und meiner Oma verbracht. Wir haben bei meinen Eltern gegessen, Wein getrunken und viel geredet. Da gab es keine große Bescherung, sondern nur kleine Aufmerksamkeiten.

Dieses Jahr soll das anders werden. Meine ältere Schwester, die selbst schon Kinder hat, wünscht sich ein großes Weihnachtsfest. Sie hat achtzehn Menschen zu sich ins Haus eingeladen. Da kommen Eltern, Großeltern, Tanten, sämtliche Kinder, aber auch ihr leiblicher Vater und seine ganzen Verwandten. Als ich das gehört habe, habe ich sofort einen Druck auf der Brust gespürt. Es macht mich traurig, dass ich Weihnachten nicht wie gewohnt verbringen werde. Mit so vielen Menschen unterm Christbaum, das will ich einfach nicht. Dazu muss man wissen, dass es in der Vergangenheit einige Konflikte in unserer Patchworkfamilie gab. Viele Themen sind noch unausgesprochen. Vielleicht sind es die alten Wunden, die mir bisschen Angst machen.

Meine Eltern haben meine Entscheidung zwar akzeptiert, aber darum gebeten, dass ich lüge. Ich solle den anderen sagen, ich sei krank. Das hat mich sehr verletzt, aber auch darin bestätigt, warum ich bei diesem Weihnachtsfest auf keinen Fall dabei sein werde.

Natürlich will ich den Heiligen Abend mit Menschen verbringen, die mir wichtig sind. Also habe ich meinen besten Freund gefragt, ob ich mit ihm bei seiner Familie feiern darf. Sie waren sofort einverstanden und haben gefragt, was sie mir schenken sollen. Das fand ich sehr süß. Meinen Eltern habe ich davon nichts erzählt, aus Angst, sie zu verletzen."

Frieda (35), Journalistin: "Ich fahre über Weihnachten in den Skiurlaub" 

"Mein Mann und ich haben in den letzten Jahren immer getrennt voneinander gefeiert. Er bei seiner Familie, ich bei meiner. Mir ist Weihnachten nicht so wichtig, deswegen war das bisher voll okay. Generell bin ich kein Weihnachtsfan. Ich habe das Gefühl, man projiziert in das Fest so viel rein, da kann man nur enttäuscht werden.

Am Heiligen Abend bin ich mit Eltern, Geschwistern und deren Kindern bei meiner Oma. Meist bin ich schon nach einem Tag genervt von der Großfamilie. Am 25. Dezember treffen wir dann noch mehr Verwandte. Spätestens dann vermisse ich meinen Mann und bereue es, hier und nicht dort zu sein. Heuer gab es zusätzlich einige Krisen in der Familie. Irgendwann habe ich mich gefragt, wie ich eigentlich Weihnachten verbringen will. Die Antwort war: Ich will eigentlich überhaupt nicht feiern. Mein Mann und ich haben uns dann entschlossen, dass wir einen Skiurlaub machen. Als wir das Wellnesshotel gebucht haben, ist mir bereits ein Stein vom Herzen gefallen. Völlig surreal, dass das wirklich passiert: Mein Mann und ich gemeinsam in einem Wellnesshotel, völlig in Ruhe ohne Verwandte. Am Heiligen Abend bekommen wir im Hotel ein Fünfgängemenü serviert, und am 25. Dezember sind wir schon morgens auf der Piste.

Nervös war ich schon, als ich meiner Familie gesagt habe, dass wir heuer Weihnachten ausfallen lassen. Aber die haben es eigentlich gut angenommen. Einige waren vielleicht sogar insgeheim froh darüber, denn je weniger Menschen es sind, desto stressfreier ist das ganze Fest.

Der gesamte Advent war durch meine Entscheidung wesentlich entspannter als sonst. Mich umgibt die ganze Zeit ein wunderbares Gefühl von Freiheit, weil ich nichts muss. Jeder Mensch sollte sich überlegen, ob er Weihnachten so verbringt, wie er wirklich möchte. Ich bin ein Fan davon, sich von Zwängen zu lösen." (Protokolle: Nadja Kupsa, 23.12.2023)