Kleines Mädchen schreibt mit einem pinken Farbstift auf einem weißen Block
Manche Kinder können schon im Kindergarten schreiben und lesen. Das kann in der Schule ein Vorteil sein, sagt aber wenig über die Schulreife aus.
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Für Eltern, deren Kinder im Herbst in die Schule kommen, ist gerade eine aufregende Zeit. In Wien öffnen Familien mit Spannung den Briefkasten. Bis spätestens Mitte Februar werden sie postalisch über den zugeteilten Schulplatz ihres Kindes informiert. In einigen Bundesländern haben die Schulneulinge schon die Einschreibung hinter sich, während die Schulreifeprüfungen in Wien erst nach den Semesterferien starten.

Im Rahmen des Einschreibungsprozesses oder bei der Schulreifeprüfung soll das Kind beweisen, ob es bereit für die Schule ist. Dem Kind werden dafür von der Schulleitung selbst oder von einem Lehrer oder einer Lehrerin kleine Aufgaben gestellt – geprüft werden auch soziale und motorische Fähigkeiten. Es ist üblich, dass die Schulreifefeststellung nicht im Beisein der Eltern abläuft, weshalb sich viele Erziehungsberechtigte Gedanken darüber machen: Muss mein Kind seinen Namen schreiben können? Wie weit sollte es zählen können? Wird das Binden von Schuhbändern tatsächlich abgefragt?

Johannes Mario Mazakarini ist Direktor der Volksschule Aspernallee im zweiten Bezirk in Wien. An seiner Schule gibt es auch eine Vorschulklasse für jene Kinder, die zwar schon schulpflichtig, aber noch nicht schulreif sind. Nervöse Eltern kann er beruhigen: Viele Kinder profitieren von dem Extrajahr in der Vorschule.

STANDARD: Eigentlich sind alle Kinder, die vor dem 2. September 2024 sechs Jahre alt sind, schulpflichtig. Dennoch müssen auch sie zur Schulreifeprüfung antreten. Warum?

Mazakarini: Es geht nicht nur darum zu entscheiden, ob das Kind nach dem Lehrplan der ersten Klasse oder der Vorschule unterrichtet wird, sondern darum, einen Eindruck vom Kind zu bekommen, welche Förderung es erhalten soll. Das Ziel dieser Tests sollte ein positiver Schulstart für das Kind sein.

STANDARD: Wie läuft der Test ab?

Mazakarini: An unserer Schule wird das Schuleingangsscreening im Einzelkontakt mit dem Kind durchgeführt. Der Elternteil bleibt meist im Nebenzimmer, was für die allermeisten Kinder kein Problem ist. Es gibt grundsätzlich die Möglichkeit, dafür ein Tablet mit einer standardisierten App zu verwenden. Das machen auch viele Schulen so. Wir haben uns aber für eine analoge Variante entschieden, weil man dabei die sprachliche und soziale Kompetenz der Kinder besser überprüfen kann. Das Spiel selbst dauert etwa zwanzig bis dreißig Minuten.

STANDARD: Was wird alles abgefragt?

Mazakarini: Wir spielen mit den Kindern eine Art Brettspiel. Je nachdem, wo das Kind hinwürfelt, werden Aufgaben gestellt, die mit Zählen und Mengen zu tun haben. Die Kinder sollen Gegenstände erkennen und benennen oder Farben zuordnen. Also wirklich sehr einfache Dinge.

STANDARD: Stimmt es, dass Kinder beim Test ihren Namen schreiben müssen?

Mazakarini: Viele Kinder sind sehr stolz, wenn sie schon beim Schulreifetest ihren Namen schreiben können. Beim Test gibt es ein Feld, in das die Kinder ihren Namen hineinschreiben können. Wenn es ein Kind noch nicht kann oder nicht leserlich und korrekt kann, dann ist das auch okay. Es ist kein Hauptkriterium bei diesem Test.

STANDARD: Sollte das Kind schon Schuhbänder binden können?

Mazakarini: Die meisten Kinder haben gar keine Schuhbänder mehr, deswegen wird diese Fähigkeit nicht explizit abgefragt. Für den Schulalltag ist es aber ein Vorteil, wenn die Kinder es schaffen, sich ohne Hilfe umzuziehen. Unsere Schule befindet sich mitten im Prater, wir gehen deswegen mit den Kindern viel raus. Um auch Pausen draußen verbringen zu können, ist flottes Umziehen gefragt.

STANDARD: Wie werden motorische Kompetenzen abgefragt?

Mazakarini: Bei einzelnen Feldern auf diesem Brettspiel sollen die Kinder mit einem Ball oder einer Springschnur eine einfache Übung erledigen. Meist haben sie das schon hundertmal im Kindergarten gemacht. Man will damit keine sportliche Leistung abfragen, sondern Bewegungsmuster erkennen. Draus lassen sich Rückschlüsse auf die Grob- und Feinmotorik des Kindes ziehen.

STANDARD: Was, wenn der Test ergibt, dass das Kind noch nicht schulreif ist?

Mazakarini: Wenn der Test ergibt, dass ein schulpflichtiges Kind noch nicht schulreif ist, startet es im Herbst nicht in der ersten Klasse, sondern in der Vorschulklasse. Das Kind wird in dieser Klasse ein Jahr lang in Richtung Schulreife gefördert, damit es dann den Übergang gut bewältigen kann. Aber nicht jede Schule hat eine extra Vorschulklasse. In diesem Fall werden Vorschulkinder integrativ im Klassenverband der ersten Schulstufe unterrichtet. In den Mehrstufenklassen werden ohnehin Kinder aller Schulstufen von der Vorschule bis zur vierten Schulstufe gemeinsam in einem Klassenverband unterrichtet.

STANDARD: Was ist mit Kindern, die wenig Deutsch können?

Mazakarini: Ein Kind mit mangelnden Deutschkenntnissen muss nicht unbedingt in die Vorschule. Da bräuchte es zumindest ein zweites, signifikantes Merkmal. Jene Kinder, die dem Unterricht aufgrund von unzureichender Sprachkenntnisse nicht folgen können, werden in eigenen Deutschförderklassen oder in unterrichtsparallelen Deutschförderkursen unterrichtet.

STANDARD: Gibt es für Kinder in den Vorschulklassen die Möglichkeit, unter dem Jahr in die erste Schulstufe aufzusteigen?

Mazakarini: Ja, die Möglichkeit gibt es. Diesen Fall hatte ich aber in den letzten Jahren nur einmal. Wesentlich öfters ist es so, dass ein Kind mit der ersten Klasse Volksschule startet und wir merken, dass es doch zu früh war. Dann wird es in Absprache mit den Eltern zurückgestuft in die Vorschulklasse. Diese Entscheidung wird immer im absoluten Wohlwollen gegenüber des Kindes getroffen. Vor allem, weil man dem Kind noch etwas mehr Zeit geben möchte, sich ohne Druck in seinem Tempo zu entwickeln.

"Es gibt Kinder, die sind kognitiv schon sehr weit und sehr wissbegierig, aber in ihrer sozialen und emotionalen Entwicklung noch nicht reif genug für die Schule."

STANDARD: Umgekehrt gibt es Vier- oder Fünfjährige, die sich schon für Buchstaben interessieren oder rechnen können. Sollte man diese in jedem Fall früher einschulen?

Mazakarini: Es gibt Kinder, die sind kognitiv schon sehr weit und sehr wissbegierig, aber in ihrer sozialen und emotionalen Entwicklung noch nicht reif genug für die Schule. Grundsätzlich können Eltern eine vorzeitige Aufnahme erwirken. Eltern sollten aber bedenken, dass ihr Kind dann nicht mehr auf die Vorschule zurückgestuft werden kann. Deswegen ist vorab die Einschätzung des Kindergartens ratsam.

STANDARD: Wie äußert es sich in der Klasse, wenn ein Kind möglicherweise zu früh eingeschult wurde?

Mazakarini: Diesen Kindern fällt es oft schwer, einen langen Schultag zu bewältigen. In einer Ganztagsschule ist es acht Stunden täglich anwesend, das erfordert eine enorm hohe soziale Kompetenz. Es fällt ihnen schwer, sich in der Klasse einzuordnen, oder sie ecken ständig an. Um sich zu konzentrieren, brauchen sie mehr Ruhe oder kürzere Unterrichtszeiten. Der Lernfortschritt ist dadurch eingeschränkt.

STANDARD: Was ist für Kinder zum Schulbeginn besonders herausfordernd?

Mazakarini: Für die wenigsten Kinder, die vom Kindergarten zu uns an die Schule kommen, ist der Umstieg mit Schwierigkeiten verbunden. Ganz im Gegenteil: Bei den Kindern ist eine richtige Vorfreude zu spüren, dass sie endlich in der Schule sind. Wie im Kindergarten gibt es auch in einer Ganztagsschule genug Raum für freies Spiel und viele Pausen. Zu Beginn ist die Konzentrationsfähigkeit noch nicht besonders hoch. Deswegen wird in der ersten und zweiten Schulstufe sehr spielerisch gelernt. Da gibt es öfters noch keine Unterrichtsstunden, sondern eher kürzere Lerneinheiten. Man merkt vor allem in den ersten Monaten, dass ihr Selbstwertgefühl bei jedem Lernfortschritt einen Push bekommt.

STANDARD: Eigenständig Hausübungen machen ist dafür etwas ganz Neues für die Kinder, oder?

Mazakarini: In Regelschulen ist das vielleicht so. An den Ganztagsschulen gibt es keine Hausübungen. Die Wiederholungen des Schulstoffs werden schon in der Schule gemeinsam mit den Pädagoginnen und Pädagogen erledigt. Die Schultaschen bleiben bei uns auch in der Schule und müssen nicht täglich hin- und hergeschleppt werden.

STANDARD: Ich stelle mir vor, dass stundenlanges Sitzen am Tisch und Sich-Konzentrieren für viele Kinder anstrengend ist.

Mazakarini: Grundsätzlich verlangt man in den ersten beiden Schulstufen von den Kindern noch nicht, dass sie lange am Tisch sitzen. Bei uns lernen die Kinder am Boden, am Gang, mit Clipboards, in der Bücherei, in der Kuschelecke, im Ruheraum. Alleine oder auch gemeinsam mit ihren Freunden in der Gruppe.

"Gerade die Erfahrungen der ersten Klasse sind wichtig und prägend für die weitere Schullaufbahn des Kindes."

STANDARD: Da hat sich seit meiner Schulzeit vor dreißig Jahren aber viel verändert ...

Mazakarini: Und das ist gut so! Jedes Kind ist anders. Jedes Kind kann etwas anderes gut. Jedes Kind lernt auf eine andere Weise. Und in eigenem Tempo. Wenn der Unterricht flexibel gestaltet ist, können die unterschiedlichen Potenziale der Kinder bestmöglich gefördert werden. Gerade die Erfahrungen der ersten Klasse sind wichtig und prägend für die weitere Schullaufbahn des Kindes. Wenn Kinder Selbstwirksamkeit erleben, motiviert es sie automatisch. (Nadja Kupsa, 23.1.2024)