Im Fokus: Der Boden für die türkisen "Zukunftsthemen" und Nehammers Auftritt in Wels ist aufbereitet.
Heribert Corn

Große Inszenierung, große Themen: In diesem Setting zeigt sich ÖVP-Chef und Kanzler Karl Nehammer heute Nachmittag im oberösterreichischen Wels. Offiziell, um in der dortigen Messehalle seinen Österreich-Plan zu präsentieren. Inoffiziell, um den Start des Wahlkampfs zu begehen.

Es ist ein wichtiges Datum für Nehammer. Denn der Plan ist nicht nur ein Plan für Österreich, sondern vielmehr einer für den Obmann selbst – und die Volkspartei nach seinem Zuschnitt. Ein Versuch, wenige Monate vor der Nationalratswahl Zweifel an seiner Eignung als Frontmann auszuräumen. Und das Bestreben, fest in den Köpfen der Parteifreunde zu verankern, was Türkis will. Damit im Superwahljahr 2024 die Botschaften an die Wählerschaft sitzen.

Innerhalb der ÖVP wurde für den Plan ordentlich Aufwand betrieben. Fast ein Jahr war man damit beschäftigt, in Workshops zu erarbeiten, wo Österreich aus türkiser Sicht 2030 in verschiedenen Themenfeldern stehen soll. Der Zielhorizont reicht bewusst über die aktuelle Legislaturperiode hinaus: Die Inhalte sind auch eine Ansage an künftige Koalitionspartner. An die 100 Menschen aus unterschiedlichen Fachbereichen hätten mitgearbeitet, heißt es vonseiten der ÖVP.

Die Motivationsspritze dafür hatte Nehammer vergangenen Frühling gesetzt: Mitte März hielt er vor versammelter ÖVP-Prominenz eine große Zukunftsrede, eine Art Vorgriff auf den innerparteilichen Prozess und den nun fertigen Plan. Was Nehammer da in staatsmännischer Manier in einem Hochhaus in Wien-Favoriten umriss, sicherte ihm viel Aufmerksamkeit. Genauso wie Verstimmungen mit den Grünen. Dass Nehammer etwa von Österreich als "Autoland schlechthin" schwärmte oder geringere Sozialleistungen für Zugewanderte verlangte, kam beim Regierungspartner schlecht an. Die Koalition hielt dennoch.

Einige Aufreger und Ankündigungen Nehammers blieben präsent: Mithilfe seiner Minister, Staatssekretärinnen und Landeshauptleute sowie gezielter Weitergabe von Informationshäppchen an Medien hielt er sie am Köcheln – und brachte so manches Vorhaben bereits auf den Weg.

Klimakleber

Mit Spott streifte Nehammer das Thema: "Klimakleben. Ein neues Wort, oder? Wir sind ja Lernende alle gemeinsam", formulierte er mit Unterton in seiner Zukunftsrede. Der Protest dahinter sei ernst zu nehmen, dessen Form aber "sinnlos". Was er dagegen tun wolle, ließ Nehammer offen. Konkreter war da bereits seine Parteikollegin Johanna Mikl-Leitner: Die niederösterreichische Landeshauptfrau hatte bereits wenige Wochen zuvor Haftstrafen statt Verwaltungsstrafen für Klimaaktivisten verlangt.

Im Lauf des Jahres stimmten weitere Parteigranden in diesen Tenor ein, die ÖVP hatte ein neues Lieblingsthema. Schließlich wurde die Forderung nach einem neuen Tatbestand im Strafgesetzbuch und Strafverschärfungen bei Behinderung von Einsatzfahrzeugen in den Zukunftsplan geschrieben. Oder besser gesagt: geparkt. Denn das grün geführte Justizressort ist nicht an einer Umsetzung interessiert. Es gebe bereits ausreichend rechtliche Handhabe, wird seitens der Umweltpartei argumentiert – ähnlich wie von Juristen.

Kinderbetreuung

Das Wichtigste seien die Kinder, betonte Nehammer in seiner Rede. In diesem Zusammenhang sprach er von einem "ambitionierten", aber "wichtigen" Ziel, nämlich Kinderbetreuungsplätze für alle ab einem Jahr bis 2030. Konkreter wurde der Regierungschef schließlich ein halbes Jahr später im ORF-Sommergespräch. Darin kündigte er an, dass bis 2030 gemeinsam mit den Ländern 4,5 Milliarden zur Verfügung gestellt werden sollen, um die Betreuungslücke im Alter zwischen ein und drei Jahren zu schließen.

Die angekündigten 4,5 Milliarden Euro für den Ausbau der Kinderbetreuung fließen seit heuer. 500 Millionen Euro pro Jahr werden dafür aus dem Zukunftsfonds des Finanzausgleichs bereitgestellt, 200 Millionen Euro jährlich kommen bis 2027 aus der Kindergartenmilliarde.

Ab März soll es zudem den Kinderbetreuungsmonitor geben, mit dem Fortschritte und Versorgungslücken in den Regionen eruiert werden können. Über eine interaktive Landkarte sollen die Informationen für jeden zugänglich sein.

Autoland

Die Technologie soll es richten. Das war bereits unter Nehammers Vorgänger Sebastian Kurz ("Wasserstoffland Nummer eins") der ÖVP-Glaubenssatz in Sachen Verkehrswende. "Das Auto werde polemisiert", beklagte dann auch Nehammer. Dass die EU den Verbrennungsmotor gänzlich "verbanne", komme nicht infrage.

Nehammer bezog sich dabei auf Verhandlungen über ein generelles Verbot von Verbrenner-Neuzulassungen ab 2035. Im März wurde ein Kompromiss beschlossen: Demnach dürfen Verbrenner in der EU nach 2035 weiter zugelassen werden, sofern sie CO2-neutrale Kraftstoffe wie E-Fuels tanken. Entscheidend war aber nicht Nehammer, sondern Deutschland: Dessen Zustimmung war Voraussetzung dafür, dass es überhaupt zu einem Beschluss kam.

Um den Einsatz von E-Fuels zu erörtern, lud Nehammer im April schließlich zu einem großen "Autogipfel". Vertreterinnen und Vertreter aus Industrie und Wissenschaft besprachen dabei etwa, wie die Effizienz der E-Kraftstoffe verbessert werden könnte.

Sozialleistungen

Das Thema Sozialleistungen ist nicht erst im Österreich-Plan eng mit dem Thema Ausländer verbunden. Dass diese die finanziellen Segnungen des Staates erst nach fünf Jahren Aufenthalt in Österreich erhalten sollen, ist eine langjährige Forderung der ÖVP.

Nicht unbekannt ist auch, was diesem Ziel entgegensteht: Anerkannte Flüchtlinge und damit eine Personengruppe, die nach ihrem Asyl-Ja recht häufig auf das unterste soziale Absicherungsnetz der Sozialhilfe und andere öffentliche Zahlungen angewiesen ist, sind gleich wie Inländer zu behandeln.

Dort, wo es geht, wurde die Wartefrist schon eingeführt – etwa für Arbeitsmigrantinnen und -migranten in der Sozialhilfe, egal ob sie aus der EU oder einem Drittstaat kommen.

In der laufenden Legislaturperiode misslangen aber auch andere Versuche, Ausländer bei Sozialleistungen schlechterzustellen. 2022 etwa kippten Höchstgerichte die davor unter Türkis-Blau eingeführte Indexierung der Familienbeihilfe für im Ausland lebende Familien von Migranten.

Kassenstellen

Rund 800 zusätzliche Kassenstellen bis 2030 und eine Verpflichtung für Absolventinnen und Absolventen des Medizinstudiums, nach dem Abschluss eine Zeitlang im öffentlichen Gesundheitssystem zu arbeiten, waren zwei der großen Pflöcke, die Kanzler Karl Nehammer bei seiner letzten Zukunftsrede für den Gesundheitsbereich einschlug.

Die Idee der Berufspflicht stieß beim grünen Koalitionspartner auf Widerstand, und ihre Machbarkeit ist rechtlich umstritten. Sie wurde vorerst nicht weiterverfolgt.

Anders der Ausbau der Kassenstellen: 100 neue Stellen sollen bis Ende März geschaffen werden, die Hälfte ist für Allgemeinmedizin und Kinderheilkunde vorgesehen. Ursprünglich sollten die 100 Stellen bereits bis Jahresende entstehen, unter anderem mithilfe des Startbonus von 100.000 Euro, der unter bestimmten Voraussetzungen vergeben wird, insbesondere für Allgemeinmedizin, Kinder- und Frauenheilkunde.

Stand 25. Jänner soll "sehr zeitnah" die erste Tranche der 100 neuen Kassenstellen ausgeschrieben werden.

Wohnungseigentum

"Mein Ziel ist, dass alle Österreicherinnen und Österreicher zur besitzenden Klasse gehören statt zur nicht besitzenden", sagte Karl Nehammer im März 2023. Deshalb solle die Grunderwerbssteuer für das erste Eigenheim gestrichen werden. Als er das aussprach, wurde mit den Grünen bereits über ein Wohnpaket verhandelt, das steuerliche Erleichterungen ebenso wie einen Mietendeckel umfassen sollte. Daraus wurde letztlich aber nichts.

Außerdem kündigte Nehammer schon damals an, die Zweckwidmung der Wohnbaufördergelder wieder einführen zu wollen. Allgemein erwartet wurde deshalb, dass die ÖVP das im Zuge der Finanzausgleichsverhandlungen im Vorjahr in irgendeiner Form zu verankern versuchen werde. Doch auch das war nicht der Fall.

Nun, ein Jahr später, will der Kanzler mit dem Österreich-Plan neuerlich eine "Eigentumsoffensive" starten, in deren Rahmen auch die Kaufoption im gemeinnützigen Wohnbau massiv erleichtert werden soll. Und auch die Zweckbindung ist wieder Thema.

Bildung

Im Bildungsbereich stellte der Kanzler unter anderem ein Schulfach Programmieren ab der fünften Schulstufe in Aussicht. Außerdem sollten Meisterprüfungen gratis werden.

Die kostenlosen Meisterprüfungen gibt es bereits. Wirtschaftsminister Martin Kocher (ÖVP) kündigte kurz vor Weihnachten an, dass ab 1. Jänner 2024 die öffentliche Hand die Kosten dafür übernehmen wird.

Zum Thema Programmieren hatte das Bildungsministerium zwei Tage nach Nehammers Rede bekanntgegeben, dass dazu Arbeitsgruppen eingerichtet wurden. Diese sollen erarbeiten, auf welche Weise das Programmieren in den Unterricht bestmöglich integriert werden kann – ob als Schwerpunkt im Schulfach "Digitale Grundbildung" oder in einem eigenen Fach.

Auf Anfrage des STANDARD zum Stand der Dinge in diesen Arbeitsgruppen lässt das Bildungsressort wissen, dass derzeit unter anderem "Best-Practice-Modelle gesammelt, geteilt und evaluiert" sowie Lehrkräften Fortbildungsmöglichkeiten angeboten werden. (Irene Brickner, Martin Putschögl, Stefanie Rachbauer, Sandra Schieder, Gudrun Springer, 25.1.2024)