Pestfriedhof Nürnberg
Die Massengräber kamen bei Bauarbeiten für ein Pflegeheim zutage.
APA/dpa/Daniel Löb

Kaum eine Krankheit verbreitete derartigen Schrecken und wurde kulturell so stark aufgegriffen wie der Schwarze Tod. Von der Antike über das Mittelalter bis in die Neuzeit wüteten in Europa Pestepidemien. Beachtliche Spuren einer verheerenden Welle im 17. Jahrhundert wurden nun in Deutschland entdeckt: Bei Bauarbeiten für ein Seniorenheim in Nürnberg stieß man auf die Knochen von hunderten Pestopfern. Es könnte sich nicht nur um den größten Pestfriedhof Deutschlands handeln, sondern sogar um den größten in Europa, wie die Archäologin Melanie Langbein vom Nürnberger Denkmalschutz vermutet.

Die Ausgrabung habe einen hohen wissenschaftlichen Wert und könnte wichtige Erkenntnisse über die Entwicklung der Pest bringen, teilte Langbein am Dienstag mit. Eine Zusammenarbeit mit dem Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig sei bereits in Aussicht. Die Arbeiten werden derzeit von der Bamberger Grabungsfirma In Terra Veritas durchgeführt.

Acht Massengräber

Überraschenderweise stieß das Team auf Tote, deren immense Anzahl schnell unübersichtlich wurde. Das Gelände an der Großweidenmühlstraße befindet sich unweit der einstigen Stadtmauer, nahe dem Fluss Pegnitz und dem St. Johannisfriedhof. Eigentlich hätte es dort laut historischen Aufzeichnungen vor allem Spuren einer Grenzanlage aus dem Dreißigjährigen Krieg und eines Kinderheims aus dem 19. Jahrhundert geben sollen.

Zwar gab es auch einen einzigen Hinweis auf ein Pestspital in der Nähe, Stadtarchäologin Langbein ist aber der Ansicht, dass man dort nicht nur Spitalstote bestattete, sondern auch zahlreiche Tote von innerhalb der Stadtmauern. Pesttote, die daheim oder in den Straßen starben, wurden oft mit Karren in der Stadt eingesammelt und in außerhalb liegenden Massengräbern beigesetzt.

Manche der Skelette sind auffällig grün verfärbt. Dies dürfte daran liegen, dass sich in der Nähe eine Kupfermühle befand. Was dort hergestellt und nicht benötigt wurde, warf man kurzerhand weg. Beim Verwittern dürfte die Patina des Metalls abgefärbt haben.

Pestfriedhof Nürnberg
Die Grünfärbung stammt von einer nahegelegenen Kupfermühle.
APA/dpa/Daniel Löb

Die Archäologinnen und Archäologen gehen davon aus, dass sich etwa acht Massengräber auf dem Gelände befinden. Etwa 800 Tote seien bisher dokumentiert, erläuterte der Grabungsleiter Florian Melzer. Laut den Berechnungen könnten dort weit über tausend Tote bestattet sein.

Im Zweiten Weltkrieg beschädigt

Diese starben Langbein zufolge wahrscheinlich in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts. 1632/33 habe es in Nürnberg eine große Pestwelle mit mehr als 15.000 Toten gegeben, sagte die Stadtarchäologin. Funde von Münzen aus den Jahren 1619 und 1621 zählen zu den wichtigsten Indizien. Damals wurde mehr als ein Drittel der Nürnberger Bevölkerung Opfer der Krankheit.

Erste Hinweise auf die Gräber hatten Erkundungsarbeiten im vergangenen August ergeben. "Dass es diese Ausmaße annimmt, hat uns auch überrascht", sagte Langbein. Auf dem rund 5.900 Quadratmeter großen Grundstück sollen ein Pflegeheim und Wohnungen für Seniorinnen und Senioren entstehen.

Pestfriedhof Nürnberg
Archäologinnen und Archäologen bergen die Verstorbenen auf dem Pestfriedhof.
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Die archäologischen Grabungen gestalten sich nach Angaben der Fachleute kompliziert. Die Knochen seien sehr fragil, sagte Melzer. Zudem liegen die Toten in den Gräbern in bis zu sieben Schichten übereinander. Ein Teil der Skelette sei beschädigt, weil auf dem Grundstück im Zweiten Weltkrieg eine Bombe eingeschlagen sei. Die Druckwelle dürfte auch die Knochen im Massengrab lädiert haben.

Pest und Cholera

Insgesamt seien die Toten aber verhältnismäßig gut erhalten, sagte Langbein. Darunter seien Kinder, alte Menschen, Frauen und Männer – also ein Querschnitt der damaligen Bevölkerung. Im Gegensatz zu anderen Todesursachen war es für Beteiligte aller Gesellschaftsschichten schwierig, der tödlichen Infektionskrankheit zu entkommen, die vom Bakterium Yersinia pestis ausgelöst wird. Teilweise seien Überreste von Kleidung wie Knöpfe, Ösen und Schnallen erhalten. Manche der Toten wurden laut Melzer in Leichentüchern ins Grab gebettet, andere scheinen hineingeworfen worden zu sein: Verstorbene, von denen man annahm, dass sie ansteckend waren, wurden hastig begraben. Da ging es nicht mehr darum, die übliche Ost-West-Ausrichtung einzuhalten.

Vor den Fachleuten liegt nun noch viel Forschungsarbeit, wie Langbein betont. Es gebe außerdem Hinweise darauf, dass auf dem Gelände Tote einer Cholera-Epidemie im 19. Jahrhundert liegen. "Unter Umständen haben wir nicht nur Pest, sondern Pest und Cholera." (red, APA, 20.2.2024)