Skelettknochen
Das Skelett eines Neugeborenen, das im spanischen Alto de la Cruz gefunden wurde.
Government of Navarre and J.L. Larrion

Der Umgang mit Menschen mit Behinderungen ist ein Thema von großer aktueller Relevanz. Doch Behinderungen sind kein neues Phänomen, es gibt sie seit Urzeiten. Wie Menschen in vorgeschichtlicher Zeit damit umgingen, ist seit Jahrzehnten Gegenstand von Forschungen. Aber es gibt wenige verfügbare Quellen. Wie wirkten sich Einschränkungen im Alltag auf den Status von behinderten Menschen in der Gemeinschaft aus?

Direkte Untersuchungen menschlicher Überreste waren bisher wenig hilfreich. Meist lassen sich Behinderungen anhand von Knochenfunden nicht verlässlich feststellen. Eine Forschungsgruppe um Adam Rorlach, der an der Universität Adelaide und am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig forscht, untersuchte nun Knochenfunde von fast 10.000 Menschen genetisch und fand dabei sechs Fälle von Down-Syndrom und einen Fall von Edwards-Syndrom. In einer in Spanien gelegenen Fundstätte fand man sogar drei Individuen, darunter eines, das besonders aufwendig bestattet wurde. Davon berichtet das Team in einer neuen Studie, die nun im Fachjournal "Nature Communications" erschienen ist.

Dreifach vorhandene Chromosomen

Konkret suchten Rorlach und sein Team nach überzähligen Chromosomen. Diese genetische Veränderung war für die Forschenden interessant, weil sie von allen am häufigsten beobachtet wird. Das Vorhandensein von drei statt zwei Kopien bei bestimmten Chromosomen wird als Trisomie bezeichnet. Die Überlebenswahrscheinlichkeit bis zur Geburt ist in der Regel äußerst gering, ausgenommen ist unter anderem die Verdreifachung des 21., des 18. und des 13. Chromosoms, wobei die Überlebenswahrscheinlichkeit bei den letzten beiden Varianten ebenfalls niedrig ist.

Am häufigsten und bekanntesten ist Trisomie 21, auch Down-Syndrom genannt. Auf mehrere solche Fälle stießen die Forschenden bei ihrer Suche. Zudem fand man einen Fall von Trisomie 18, als Edwards-Syndrom bekannt. Dabei dürfte es sich um den ersten dokumentierten Fall von Edwards-Syndrom in historischer oder prähistorischer Zeit handeln. Die Knochenfunde stammten aus Spanien, Bulgarien, Finnland, Griechenland und Irland. Die Funde stammen aus Zeiten zwischen etwa 500 und 3.000 vor Christus, ein einziger stammt vermutlich aus dem 18. Jahrhundert.

Nach der Genanalyse suchten Rorlach und sein Team in den Knochen nach anatomischen Merkmalen, um zu sehen, ob diese die Ergebnisse bestätigen konnten. Zwar waren die Funde für eine eindeutige Diagnose zu schlecht erhalten, immerhin lassen sich Trisomie 21 und Trisomie 18 nicht anhand eines einzigen Merkmals verlässlich feststellen. Doch die gefundenen Knochenmerkmale stimmten mit den genetischen Diagnosen überein.

Häufung in Spanien

Überraschend war, dass drei der Fälle an einem einzigen Ort gefunden wurden. In der bronze- und eisenzeitlichen Siedlung Alto de la Cruz im spanischen Navarra förderten die genetischen Untersuchungen zwei Fälle von Kindern mit Down-Syndrom und einen eines Kindes mit Edwards-Syndrom zutage.

Wie sehr sich die Gemeinschaft in Alto de la Cruz der Außergewöhnlichkeit der Kinder bewusst war, lässt sich nicht eindeutig sagen. Körperlich äußert sich das Down-Syndrom etwa in Veränderungen der Kopfform. Eines der Kinder, ein Mädchen, wurde jedenfalls in einer einzelnen Grabstätte mit verzierter Feuerstelle begraben. Als Grabbeigaben fand man Bronzeringe, eine mediterrane Muschel sowie vollständige Überreste von drei Tieren, bei denen es sich um Schafe oder Ziegen handelte. Es dürfte sich um einen rituellen Ort gehandelt haben, was auf eine besondere Bedeutung des Kindes hinweist.

Ein Hügel, mit dem runden Umriss ausgegrabener Mauerreste.
Eine Luftaufnahme von der Fundstätte in Spanien, von der drei der gefundenen Fälle stammen.
Photographs from the Government of Navarre and J.L. Larrion.

Seltene Phänomene

Dass die Forschung diese Behinderungen bisher nicht betrachtet habe, liege einerseits an ihrer Seltenheit, die zusammen mit der in prähistorischer Zeit geringeren Weltbevölkerung wenig Hoffnung auf Funde gemacht habe. Andererseits brauchten genetische Methoden zur Identifizierung von Trisomie zu große DNA-Mengen, berichtet das Team. Dieses Manko konnten die Forschenden mit einer neuen Analysemethode überwinden.

Die Zahl der Funde lässt, gemessen an der Anzahl der analysierten Individuen, auf eine etwas geringere Häufigkeit von Down-Syndrom in der Bevölkerung schließen. Während aktuell die Häufigkeit etwa 1:700 beträgt, legen die Untersuchungen eine Häufigkeit von etwa 1:1.600 nahe. Es ist bekannt, dass das Alter der Mutter starken Einfluss auf die Häufigkeit des Down-Syndroms hat. Doch selbst wenn man berücksichtigt, dass die Lebenserwartung in der Vergangenheit deutlich geringer war, bleibt das Ungleichgewicht bestehen. Eine weitere Erklärung könnte sein, dass die archäologische Forschung Kindergräbern bisher weniger Aufmerksamkeit schenkte als Erwachsenengräbern, mutmaßen die Forschenden. Auch die Fragilität von Kinderknochen, die sich deshalb seltener über Jahrhunderte erhalten, könnte hier eine Rolle spielen.

Die neuen Methoden, die Rorlach und sein Team bei ihrer Untersuchung verwendeten, öffnen jedenfalls die Tür zu weiteren Entdeckungen. (Reinhard Kleindl, 22.2.2024)