Wenn bereits Volkschülerinnen traurig vor dem Spiegel stehen, weil sie ihr Aussehen nicht mögen, machen sich Eltern Sorgen. Was können sie beitragen, damit sich das ändert?
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Nach einer einjährigen Pause beantwortet der STANDARD-Familienrat ab sofort wieder die Fragen von Lesern und Leserinnen zu den Themen Familie, Erziehung und Partnerschaft.

Frage:

"Meine Tochter ist erst neun Jahre alt und sagt schon solche Sachen : 'Nein, diese Hose ziehe ich nicht an, da sehe ich voll dick aus!' Das gibt mir echt zu denken. Ich weiß, dass sich viele Mädchen heute selbst nicht schön finden. Das war früher schon so, aber seit Internet und Social Media wird es immer schlimmer. Irgendwann wird auch meine Tochter auf Social Media sein – und ich habe echt Angst davor.

Ich will ihr deswegen schon jetzt ein positives Körpergefühl vermitteln. Ich sage ihr andauernd, dass sie super aussieht und überhaupt nicht dick ist. Ist sie wirklich null! Aber das reicht nicht. Zudem bin ich selbst kein gutes Vorbild. Ich finde mich auch oft zu dick oder mich stört irgendwas an mir. Als Teenagerin hatte ich sogar eine Essstörung. Was kann ich tun, damit meiner Tochter das nicht auch passiert und sie ihren Körper später so liebt, wie er ist?"

Antwort von Hans-Otto Thomashoff:

Sie beschreiben hier sehr plastisch, wie das Vorbild, das Eltern ihren Kindern vorleben, die entscheidende Kraft von Erziehung ist, und Sie merken, wie Sie ungewollt und mehr oder weniger unbewusst Ihr eigenes Körperbild an Ihre Tochter weitergeben.

Die Tatsache, dass Ihnen das auffällt, ist schon der erste und oft auch entscheidende Schritt, um dafür zu sorgen, dass Ihre Tochter eben nicht nachmacht, was Sie ihr vorleben. Meine Empfehlung: Seien Sie offen zu ihr. Erklären Sie ihr, dass Sie selbst – aus welchen Gründen auch immer das so ist – Ihrer äußeren Erscheinung gegenüber zu kritisch sind, und erklären Sie ihr, warum. Wenn Ihre Tochter Sie versteht, dann kann sie besser annehmen, es anders zu machen, sonst nimmt sie Ihr Handeln zum Vorbild.

Hans-Otto Thomashoff, Psychotherapeut
Hans-Otto Thomashoff ist Psychiater, Psychoanalytiker, zweifacher Vater und Autor. Er ist Aufsichtsratsmitglied in der Sigmund-Freud-Privatstiftung und als Kunsthistoriker auch Präsident der Sektion für Kunst und Psychiatrie des Weltpsychiaterverbandes. Bekannte Bücher: "Damit aus kleinen Ärschen keine großen werden" (2018), "Versuchung des Bösen" (2022).
Regina Schulz

Zugleich ist das Thema des Aussehens natürlich auch eine Frage der Werte. Was ist wirklich wichtig im Leben? Sind das ein paar Gramm oder weniger auf der Hüfte? Da gibt es doch ganz andere Probleme auf der Welt! Je mehr es Ihnen gelingt, die Augen Ihrer Tochter zu öffnen für all das, was die Welt zu bieten hat, ihre Neugier zu wecken für das wirkliche Leben, das außerhalb von den sozialen Medien gelebt wird, mit all seinen Höhen und Tiefen, seinen Chancen und Reizen, desto eher wird sie erkennen, dass die unsinnige Konkurrenz mit anderen wenig zur eigenen Lebensfreude beiträgt. Vielleicht hilft es ihr, ein gesundes Körpergefühl zu entwickeln, wenn sie sich für eine Sportart begeistern kann. Und vielleicht findet sie da auch echte Freunde. Vielleicht kann ihre Neugier zur Welt auf Reisen geweckt werden, wo der Blick in die Realität vieler Menschen, denen es alles andere als leicht gemacht wird im Leben, helfen kann, eigene verzerrte Werte über Bord zu werfen.

Und es gilt auch, Ihrer Tochter die Augen dafür zu öffnen, dass die Selbstinszenierungen der Stars und Sternchen im Internet vor Lügen nur so strotzen, dass ungesundes Herunterhungern, Operationen und Photoshop Schönheitsideale suggerieren, die mit Schönheit nichts zu tun haben.

Also kein Grund, die Flinte ins Korn zu werfen. Wie so oft gilt auch hier, das Drama herausnehmen, dann ist schon viel gewonnen. (Hans-Otto Thomashoff, 28.2.2024)

Antwort von Sandra Teml-Wall:

Es gibt ein Wort, bei dem ich beim Lesen hängengeblieben bin und auf das ich eingehen möchte. Das Wort ist: Angst.

Wenn wir als Elternteil Angst bekommen, dann beginnen wir, angetrieben von dieser Emotion zu handeln. Weil wir diese Angst nicht mehr haben wollen, beginnen wir mit einem Aktionismus und wollen mit aller Kraft zum Beispiel ein positives Körpergefühl vermitteln. So bauen Sie Ihrer Tochter gegenüber aber einen enormen (Leistungs-)Druck auf, den Sie ja eigentlich vermeiden wollen!

Wenn wir Angst bekommen, sind wir nicht mehr "im grünen Bereich", sondern im "roten Kampf- oder Fluchtmodus". Im roten Bereich können wir auch nicht mehr in Verbindung gehen, präsent sein und lieben. Genau das ist es aber, was Ihre Tochter in dieser Situation, in der sie selbst "rot" ist, braucht: eine "grüne" Orientierungsperson in den stürmischen Zeiten des Heranwachsens.

Sandra Teml-Wall, Familienberaterin
Sandra Teml-Wall ist Paarcoach, Elternberaterin nach Jesper Juul, Mutter von drei Kindern und Bestsellerautorin. Sie setzt sich nachhaltig für einen emotionalen Klimawandel in Familien ein und praktiziert in der "Wertschätzungszone" in Wien. Bekannte Bücher: "Mama, nicht schreien!" (2022), "Keine Angst Mama" (2021), "Ent-Eltert euch!" (2023) gemeinsam mit Ehemann Martin Wall.
Theresa Pewal

Wenn Sie also bemerken, dass die Angst in Ihnen steigt und Sie impulshaft Ihrer Tochter ein gutes Gefühl vermitteln wollen, dann halten Sie inne. Stoppen Sie sich. Achten Sie auf Ihren Atem. Waschen Sie Ihr Gesicht kalt ab, um sich selbst wieder gut zu regulieren. Wenn Sie wieder grün sind, können Sie sich für Ihre Tochter interessieren: "Aha! Erzähl mir mehr!" Und dann sollten Sie alles, was sie sagt, so stehen lassen, anstatt ihr zu widersprechen. Es geht in diesem Moment nicht um den Inhalt, es geht um den inneren Zustand, der Zuwendung braucht.

Sie wird den Unterschied genau merken, ob Sie als ängstliche Mutter auf sie zugehen oder empathisch präsent mit echtem Interesse und mit ruhigem Herz. Geschieht Letzteres, wird auch Ihre Tochter rasch wieder aus ihrem roten Bereich herauskommen. Sobald der innere Stress nachlässt, verändert sich auch unsere Selbstwahrnehmung. Möglicherweise gefallen sie sich beide "grün" besser. (Sandra Teml-Wall, 28.2.2024)