Demonstration in Paris für das Abtreibungsrecht.
Demonstration in Paris für das Abtreibungsrecht.
IMAGO/Michel Christophe/ABACA

Befürworterinnen sprachen von einem "geschichtsträchtigen" Entscheid: Der Senat, das französische Oberhaus, sprach sich am Mittwochabend mit 267 gegen 50 Stimmen dafür aus, die "garantierte Freiheit", Schwangerschaften abzubrechen, in die Verfassung einzuschreiben.

Die grüne Senatorin Mélanie Vogel umarmte ihre Kolleginnen und sagte unter Tränen, es handle sich um einen "außergewöhnlichen Sieg". 50 Jahre nach dem ersten Abtreibungsgesetz sei dieses Frauenrecht nun in Fels gemeißelt. "Nie wieder Engelmacherinnen, Draht oder Nadeln, nie wieder Tote!", rief sie aus.

Mit dem Entscheid des als konservativ geltenden Senats ist der Weg für die Verfassungsrevision frei. Ende Jänner hatte schon die Nationalversammlung mit 493 gegen 30 Stimmen zugestimmt. Präsident Emmanuel Macron kündigte am Donnerstag an, die beiden Parlamentskammern würden sich bereits am kommenden Montag in Schloss Versailles zum "Kongress" treffen. Die dabei nötige Dreifünftelmehrheit für eine Verfassungsänderung gilt als sicher. Frankreich würde damit das erste Land, welches das Abtreibungsrecht in die Verfassung einschreibt. Die Sozialistin Laurence Rossignol sprach deshalb von einem "historischen" Entscheid.

US-Gerichtsurteil

In Wahrheit war die französische Pioniertat durch eine beträchtliche Sorge vor einer Rückkehr der Abtreibungsgegner motiviert. Die linke Zeitung Libération schrieb, die Verfassungsänderung zugunsten der Abtreibung sei dringend, "bevor es zu spät ist". Auch Senatorin Vogel meinte: "In einem Moment, da die reaktionären Kräfte an Boden gewinnen, haben wir den Weg gezeigt. Ich bin sicher, dass Frauen auch in anderen europäischen Ländern den Kampf aufnehmen werden."

Diese Bemerkung war auf die Lage in Polen gemünzt, wo das Abtreibungsrecht verschärft worden ist: Auch bei einer schweren Fehlbildung des Fötus darf die Schwangerschaft nicht abgebrochen werden. In den USA hat der Supreme Court das liberale Gerichtsurteil im wegweisenden Fall "Roe vs. Wade" 2022 aufgehoben. Noch am gleichen Tag erschallten in Frankreich Rufe, das französische Abtreibungsrecht in der Verfassung zu verewigen. 2023 nahm Macron die Idee auf, zweifellos auch, um auf der Linken wieder einmal zu punkten. Kleine Nuance: In der Verfassung lässt er nicht das "Recht" auf Abtreibung, sondern nur die "Freiheit", eine solche vorzunehmen, garantieren.

Abstimmung im Senat.
IMAGO/Blondet Eliot/ABACA

In Umfragen haben sich 81 Prozent der Französinnen und Franzosen für die Verfassungsrevision ausgesprochen. Die wie Macron dem liberalen Mittellager angehörende Gesundheitsministerin Simone Veil hatte den Schwangerschaftsabbruch bis zur 14. Woche im Jahr 1974 durchgesetzt. Er gilt in Frankreich als wichtige sozial- und frauenpolitische Errungenschaft. Die Kosten werden von der Sozialversicherung erstattet. 2022 wurden in Frankreich 234.000 Schwangerschaftsabbrüche vollzogen.

Vereinte Kräfte

Die Abtreibungsgegner sind im katholischen Frankreich zumindest in der öffentlichen Debatte wenig präsent. Eine Protestdemonstration in Paris vereinigte nur 6000 Menschen, während die gleichen Kreise gegen die Homoehe über 100.000 Gegner auf die Straße gebracht hatten. Der konservative Senatspräsident Gérard Larcher war gegen den Verfassungszusatz, wobei er sich erstaunlicherweise auch auf Simone Veil berief: Sie habe, sagte er, 1974 nicht nur vom Recht der Frauen gesprochen, sondern auch vom "Recht der Kinder vor der Geburt". Die in Frankreich sehr populäre Schauspielerin Sophie Marceau warf Larcher darauf erbost vor, er bringe einzelne Frauen in Todesgefahr.

Auch Marine Le Pen stimmte in der Nationalversammlung schließlich für die Verfassungsrevision, obwohl sie diese anfänglich für "nutzlos" bezeichnet hatte. Damit will sich die Rechtspopulistin im Hinblick auf die nächsten Präsidentschaftswahlen offensichtlich als weltoffen und liberal zeigen. 45 Vertreter ihres Rassemblement National stimmten mit ihr, zwölf stimmten gegen die Verfassungsänderung. Deren Gegnern werden deshalb am Montag bei der feierlichen Abstimmung im Versailler Kongress keinerlei Chancen eingeräumt, da die Linke und das Macron-Lager fast geschlossen mit Ja stimmen werden. (Stefan Brändle aus Paris, 29.2.2024)

ZIB 1: Frankreich: Recht auf Abtreibung in Verfassung
In Frankreich soll das Recht auf Abtreibung nun in der Verfassung festgeschrieben werden. Am Dienstag macht das Parlament den Weg dafür frei.
ORF