Eine polierte Metallfläche mit geometrischen Linien und mehreren Inschriften.
Eine Detailansicht des Astrolabs von Verona. Die meisten Schriftzeichen sind arabisch, oben links findet sich eine hebräische Inschrift.
Federica Gigante

Computer gibt es zwar erst seit einigen Jahrzehnten, doch das Wort bedeutet eigentlich "Rechner", und Rechenbehelfe gibt es seit vielen Tausend Jahren.

Eine solche Rechenmaschine ist auch das Astrolab, ein Gerät, das bereits von antiken Astronomen zur Berechnung von Sternpositionen eingesetzt wurde. Im Mittelalter wurden sie bevorzugt in Scheibenform gefertigt und waren über Jahrhunderte das Instrument, das unserer heutigen Idee eines Computers am nächsten kam. Sie wurden in verschiedenen Kulturkreisen eingesetzt, im antiken Griechenland, in Alexandria, im islamischen Kulturkreis und im europäischen Mittelalter. Auch das Technische Museum in Wien besitzt einige schöne Exponate. Sie hatten Bedeutung als Forschungsinstrumente, aber auch für die Astrologie, wenn es darum ging, mithilfe der Sterne die Zukunft vorherzusagen.

Ein außergewöhnliches Exemplar, das sich im Museum Miniscalchi-Erizzo in Verona befindet, erregte nun die Aufmerksamkeit der Historikerin Federica Gigante von der Universität Cambridge. Sie entdeckte ein Bild des Astrolabs auf einem neu hochgeladenen Bild auf der Website des Museums und fragte nach. "Das Museum wusste nicht, was es war, und dachte, es könnte eine Fälschung sein", sagt Gigante.

Doch die Forscherin hatte ihre Zweifel und wollte es genau wissen: "Als ich das Museum besuchte und das Astrolab aus der Nähe betrachtete, fiel mir auf, dass es nicht nur mit wunderschön gravierten arabischen Inschriften bedeckt war, sondern dass auch schwache hebräische Inschriften erkennbar waren." Sie zeichneten sich nur schwach im Sonnenlicht ab, das durch ein Fenster fiel. "Ich dachte, ich würde träumen, aber ich sah immer mehr und mehr. Es war sehr aufregend", erzählt Gigante. Von den Ergebnissen ihrer Untersuchung berichtet die Forscherin nun in einer neuen Studie im Fachjournal "Nuncius".

Eine runde, fein gearbeitete Bronzescheibe auf einem Tuch aus Samt.
Das Astrolab von Verona enthält verschiedene, teils unsaubere Korrekturen. Der Grund dafür findet sich in einem mittelalterlichen Buch.
Federica Gigante

Hinweise auf Toledo und Cordoba

Gigante ist Expertin für Astrolabien aus dem islamischen Kulturkreis und untersuchte das Objekt genauer. Die Form, der Stil der Gravuren sowie die Anordnung der Skalen auf der Rückseite deuteten auf einen Ursprung im spanischen Andalusien hin, das damals islamisch war. Es ähnelte anderen Astrolabien aus dieser Gegend, die dort im elften Jahrhundert hergestellt wurden. Zudem gab es Gebetsformeln, die so angeordnet waren, dass ihre muslimischen Nutzer die verpflichtenden Gebetszeiten nicht vergessen konnten.

In den Inschriften finden sich Entfernungsangaben, in denen die Breitengrade der Städte Toledo und Cordoba angegeben waren. Gigante zufolge könnte das Astrolab aus Toledo stammen, das damals ein multikultureller Schmelztiegel aus Muslimen, Juden und Christen war.

Von Spanien nach Marokko

Doch nicht alle Hinweise sind eindeutig. Es scheint Inschriften aus unterschiedlichen Epochen zu geben. Eine Inschrift berichtet, dass es sich um eine Arbeit von Yūnus für einen Mann namens Isḥāq handelt. Die Namen, im Deutschen als Isaak und Jonas bekannt, sind jüdischen Ursprungs und deuten darauf hin, dass das Objekt in der jüdischen Gemeinde in Spanien kursierte, wo Arabisch gesprochen wurde. Doch diese Inschrift wurde später hinzugefügt.

Ebenso aus späterer Zeit stammt eine zweite Scheibe, die nordafrikanische Breitenangaben enthält. Das legt nahe, dass das Astrolab später in Marokko oder Ägypten verwendet wurde.

Abgesehen von diesen arabischen Inschriften gibt es aber weitere Gravuren. Und die sind in hebräischer Schrift verfasst. Es gibt sauber ausgeführte, tief eingravierte Inschriften, aber auch unsicher und schwach ausgeführte Inschriften.

Manche der Inschriften dürften zudem nicht von einem erfahrenen Astronomen stammen. Neben der arabischen Markierung für den 35. Breitengrad findet sich eine hebräische Inschrift, die übersetzt "vierunddreißigeinhalb" lautet. Daneben sind hebräische Übersetzungen der Namen der astrologischen Tierkreiszeichen.

Neben professionellen arabischen Inschriften gibt es Ergänzungen mit modernen (arabischen) Zahlen.
Federica Gigante

Fehlerhafte Korrekturen

Die Schreibweise der Tierkreiszeichen deutet laut Gigante auf den spanisch-jüdischen Universalgelehrten Abraham Ibn Ezra hin, der die älteste erhaltene Abhandlung zur Verwendung von Astrolabien in hebräischer Sprache schrieb. Das Werk erschien im Jahr 1144 in Verona, also exakt dort, wo sich das Astrolab heute befindet.

In der Abhandlung findet sich auch eine Erklärung für die falschen Gravuren. Ibn Ezra betont darin, ein Astrolab müsse vor seiner Verwendung auf Korrektheit kontrolliert, also neu geeicht werden. Das erklärt die hebräische Inschrift an der Markierung für den 35. Breitengrad. Es gab sogar noch mehr solcher Markierungen: Sie sind nur unsauber ins Metall gekratzt und ähneln verblüffend den Zahlen, die wir heute verwenden. Zwar sind auch unsere Zahlen arabischer Herkunft und gehen auf dieselben Zahlen zurück, die im Mittelalter im arabischen Raum verwendet wurden. Allerdings veränderte sich ihre Form mehrmals.

Die neuen Markierungen vergrößern das Chaos noch, betont Gigante: "Die beiden Ziffern weichen nicht nur von den arabischen Werten ab, sie stimmen auch nicht untereinander überein. Es könnte sein, dass ein späterer Benutzer des Instruments den ursprünglichen arabischen Wert für falsch hielt und ihn änderte. Der korrekte, moderne Wert für die geografische Breite von Medinaceli beträgt jedoch 41°15', was darauf hindeutet, dass der arabische Wert genauer war als die beiden Änderungen."

Spur zur richtigen Datierung

Es fehlte eine Überprüfung der Datierung. Bei Astrolabien ist diese nicht allein auf die Interpretation von kulturellen Details angewiesen. Die astronomischen Angaben selbst lassen eine Datierung zu. "Aufgrund eines Phänomens, das als Präzession der Tagundnachtgleichen bezeichnet wird und bei dem sich die Erde nicht geradlinig, sondern 'wackelig' um ihre Achse dreht wie ein Kreisel, der kurz vor dem Stillstand steht, ändern sich die scheinbaren Positionen der Sterne über unseren Köpfen ständig, etwa alle 70 Jahre um ein Grad", erklärt Gigante. Und diese Charakteristika zeigen, dass das Astrolab im späten elften Jahrhundert entstanden sein dürfte. Das deckt sich mit den anderen Details.

"Dies ist nicht nur ein unglaublich seltenes Objekt. Es ist ein eindrucksvolles Zeugnis des wissenschaftlichen Austauschs zwischen Arabern, Juden und Christen über Hunderte von Jahren", sagte Gigante. "Das Astrolab von Verona hat viele Veränderungen, Ergänzungen und Anpassungen erfahren, als es den Besitzer wechselte. Mindestens drei verschiedene Benutzer hatten das Bedürfnis, Übersetzungen und Korrekturen an diesem Objekt vorzunehmen, zwei in hebräischer und einer in einer westlichen Sprache."

Es handelt sich damit um ein besonders eindrucksvolles Beispiel dafür, wie Naturwissenschaft die Grenzen von Religion und verschiedenen Zeitaltern zu überschreiten vermag. (Reinhard Kleindl, 4.3.2024)