Verschiedene Steinspitzen
Diese feingearbeiteten Steinspitzen, die auf eine Zeit vor circa 90.000 bis 100.000 Jahren datiert werden, wurden in der Rose Cottage Cave in Südafrika gefunden. Sie wurden auf einer Fläche und an der Basis bearbeitet – ein Novum zu dieser Zeit.
ÖAW-ÖAI/Viola Schmid

Vor etwa 135.000 bis 75.000 Jahren herrschten angenehme klimatische Bedingungen im heutigen Südafrika. In dem Abschnitt, der zum "Middle Stone Age" (Mittlere Altsteinzeit) gehört, war es wärmer und feuchter als in den Phasen unmittelbar davor und danach. In dieser Zeit fand unter anderem in Südafrika eine entscheidende Phase in der kulturellen Evolution des Menschen statt: Es traten neue Verhaltensweisen der Jäger-und-Sammler-Gesellschaften auf. Die Menschen testeten neue Ideen und verfügten bereits über Fähigkeiten wie Planungstiefe, Multitasking und abstraktes Denken, wie frühe Erfindungen belegen.

"Erstmals nutzten die Menschen damals Tempern, verbesserten also die Eigenschaften von Gesteinen durch Feuer", nennt Viola Schmid vom Österreichischen Archäologischen Institut (ÖAI) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) ein Beispiel. Das Tempern, also die gezielte Erhitzung, setze ein sehr gutes Verständnis von Gesteinen voraus. Weiters seien neue Werkzeugtypen und damit auch neue Jagdwaffen eingesetzt worden.

Planen und abstrakt denken

Um mehr Einblicke in diese entscheidende Phase in der kulturellen Evolution des Menschen zu bekommen, forscht derzeit ein internationales Team von Archäologinnen und Archäologen, erstmals unter österreichisch-südafrikanischer Leitung, an mehreren Fundstellen in Südafrika. Die Orte Rose Cottage Cave (Provinz Free State), Bushman Rock Shelter (Provinz Limpopo) und Sibhudu Cave (Provinz KwaZulu-Natal) liegen in drei unterschiedlichen Vegetationszonen und in Regionen, die bisher noch wenig erforscht sind.

Bewachsener Hang
Die Fundstelle Rose Cottage Cave liegt erhoben auf einem Hang und dürfte als Wohnsitz gedient haben.
ÖAW-ÖAI/V. C. Schmid)

In der Sibhudu Cave gefundene Steinwerkzeuge, die feine Zähnungen der spitz zulaufenden Kanten aufweisen, zeugen davon, dass eine innovative Technik bei ihrer Herstellung angewandt wurde. Untersuchungen von Gebrauchsspuren auf den Werkzeugen zeigten, dass diese Stücke als geschäftete Projektile für neue Jagdmethoden eingesetzt wurden.

"Es gibt auch andere Funde, die auf komplexes Verhalten hindeuten, etwa Knochenwerkzeuge, die vermehrte Verwendung von Ocker, wie Ockerstücke mit eindeutigen Abriebspuren zeigen, oder eindeutig von Menschen eingebrachte Straußenei-Fragmente, die als Wasserbehälter gedeutet werden", sagt Viola Schmid. All dies zeuge von einer gewissen Planungstiefe und komplexeren Verhaltensweisen, muss doch das Rohmaterial geholt und bearbeitet werden: "Es sind mehrere kognitive Schritte dahinter, bevor ein Objekt verwendet werden kann." Solche komplexen kognitiven Fähigkeiten zum Planen und abstrakten Denken seien mit jenen des modernen Menschen vergleichbar.

Einzigartiger Fundort

Noch ist nicht klar, wie, wann und warum sich diese Entwicklungsprozesse vollzogen haben. In Kooperation mit Will Archer vom südafrikanischen Nationalmuseum in Bloemfontein will Schmid im Rahmen ihres vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten Projekts "Zeit essentieller Veränderungen in der Menschheitsgeschichte" erforschen, welche frühen technologischen Errungenschaften in dieser Zeit auftraten und welche Veränderungen diese Innovationen in den Verhaltensweisen steinzeitlicher Menschen bewirkten. Zudem wollen sie auch die Auslösemechanismen für die Veränderungen identifizieren und die Vernetzung und den Wissenstransfer zwischen Fundplätzen analysieren.

Viola Schmid steht in der Höhle, hinter ihr beschriftete Schichten
Viola Schmid in der Rose Cottage Cave. Hier sind eine Reihe von Schichten, die bis zu 100.000 Jahre zurückreichen, deutlich sichtbar.
ÖAW-ÖAI/Barbara Horejs

Aufschluss darüber geben könnten Grabungen in der Rose Cottage Cave, die nach ersten Begehungen und Feldarbeiten für heuer geplant sind. Die Fundstelle liegt in 1.676 Meter Seehöhe an den Nordhängen des Platbergs in der Nähe des Städtchens Ladybrand und diente als Wohnsitz. Es handelt sich dabei weniger um eine Höhle als vielmehr um einen Felsüberhang, dessen rund 125 Quadratmeter großer Innenraum zusätzlich von einem riesigen davor liegenden Felsblock geschützt wird. "Das ist auch der Grund, warum sich an dieser Fundstelle diese sieben Meter mächtige Abfolge von Kulturschichten erhalten hat", schildert Schmid. Die ältesten Schichten sind etwa 100.000 Jahre alt, die jüngsten stammen von Wildbeutern von vor rund 500 Jahren.

Der Ort ist der einzige "überdachte" Fundplatz in dem Gebiet aus dem Zeitabschnitt des Middle Stone Age, während die anderen Fundorte Freilandfundstellen sind. Er bot neben einer nahegelegenen Wasserstelle auch einen guten Ausblick auf das umgebende Grasland und die damals existierende üppige Tierwelt. Welche Antworten die kommenden Grabungen zur frühen Menschheitsgeschichte geben können, wird das Forschungsteam Anfang Dezember beim "Austrian Archaeology in South Africa Day" in Johannesburg verraten. (kri, APA, 6.3.2024)