Ein junges Paar streitet heftig miteinander
Ständig Streiterei: Ist die Beziehung dann überhaupt noch zu retten?
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Sie haben jeden Tag mit Beziehungen zu tun und sehen Paare oft erst dann, wenn bereits einiges im Argen liegt. Paartherapeutinnen und -berater sind ganz nah an Beziehungen dran und bekommen trotzdem nie das ganze Bild. Worauf achten sie in ihren Sitzungen? Was sind für sie Warnsignale? Drei Expertinnen geben Einblick in ihre Arbeit mit Paaren.

Gehen nur Paare zur Therapie, die kurz vor der Trennung stehen?

Birgit Scheiner, Psychotherapeutin: Die Paare, mit denen ich arbeite, stehen an ganz unterschiedlichen Punkten in ihrer Beziehung. Manche Paare möchten ihre Kommunikationsmuster verbessern, Vertrauen wieder aufbauen, emotionalen Schmerz verarbeiten oder gemeinsame Ziele entwickeln. Andere ziehen aber tatsächlich die Möglichkeit einer Trennung in Betracht, wenn sie zu mir kommen.

Nadja Mack-Foraschik, psychosoziale Beraterin: Es ist wirklich bunt gemischt. Ich glaube, wenn Paare früher den Weg in die Praxen auf sich nähmen, gäbe es weniger Trennungen. Jede Verletzung, jedes weitere Aneinander-Vorbeireden schafft Distanz, obwohl sich meistens beide Partner Nähe und eine Verbesserung der Situation wünschen.

Susanne Fabiankovits, Paarberaterin: Ich arbeite häufig mit Klienten, die ihre Streitdynamik unterbrechen wollen, oder mit Paaren, die mit einer Affären- oder Eifersuchtsproblematik konfrontiert sind. Oft sind es auch junge Ehepaare, die durch die Überforderung des Alltags oder der Kindererziehung nicht mehr weiterwissen. Es ist heutzutage schon en vogue, für seine Beziehungspflege professionelle Unterstützung zu suchen – und nicht erst dann, wenn erste Krisen in der Beziehung auftauchen. Ich hatte sogar schon Paare, die sich das als Hochzeitsgeschenk gewünscht haben.

Wie schnell bekommen Sie ein Gefühl für das Paar?

Nadja Mack-Foraschik, psychosoziale Beraterin: Ich würde sagen relativ rasch. Im Erstgespräch sind Teile der Paardynamik schon gut erkennbar, und ich spreche sie auch an.

Susanne Fabiankovits, Paarberaterin: Die große Kunst ist es dennoch, absolut unvoreingenommen zu bleiben, obwohl man mit zunehmender Erfahrung immer schneller ein Gefühl für die Dynamiken bekommt, die im Paarzwischenraum vorliegen.

Birgit Scheiner, Psychotherapeutin: Auch in der Paartherapie bekomme ich immer nur einen sehr kleinen Ausschnitt aus dem Leben zweier Menschen zu sehen. In der Therapie geben die Klienten auch nur das preis, was sie preisgeben wollen. Es gibt Paare, die haben schon viel Reflexionsarbeit geleistet. Andere brauchen mehr Unterstützung, um ihre unterschiedlichen Bedürfnisse klar zu erkennen und artikulieren zu lernen.

Welche Themen kann man Ihrer Erfahrung nach schwer lösen?

Nadja Mack-Foraschik, psychosoziale Beraterin: Es hängt, finde ich, nicht so sehr von den Themen oder Verhaltensweisen ab, sondern von den handelnden Personen selbst. Deren Bereitschaft, alte Verhaltensmuster zu verändern etwa oder sich in den anderen einfühlen zu können. Bei manchen Themen gibt es aber keine Kompromisse, wie beispielsweise dem Kinderwunsch. Offene und ehrliche Gespräche helfen, die andere Sichtweise zu verstehen und Entscheidungen zu treffen. Diese fallen dann ganz unterschiedlich aus.

Birgit Scheiner, Psychotherapeutin: Ja, absolut. Meist sind es auch die unterschiedlichen Bedürfnisse und Herangehensweisen der Partner und Partnerinnen, die zu Konflikten führen. Bedürfnisse können schwer verändert werden, da sie ja einen großen Teil der jeweiligen Persönlichkeit ausmachen. Gerade die Unterdrückung bestimmter Bedürfnisse aus Rücksicht auf den anderen oder die andere führt langfristig zu Konflikten.

Susanne Fabiankovits, Paarberaterin: Wie weit ein Paar auf seiner Entwicklungsreise kommen kann, ist oft davon abhängig, wie die Fähigkeiten zur Reflexion ausgebildet wurden und wie wir sozialisiert sind. Daher gestalten sich manche Dynamiken tatsächlich herausfordernder, wenn etwa Emotionen noch nicht gut reguliert werden können oder Bindungsambivalenzen die Beziehung stark belasten.

Worauf achten Sie in den Sitzungen?

Birgit Scheiner, Psychotherapeutin: Gestik, Mimik und Körpersprache sagen oft viel mehr aus als das tatsächlich Gesprochene. Bemerke ich beiläufige nonverbale Reaktionen auf eine Aussage, greife ich das gerne auf oder frage nach, wo bestimmte Gefühle im Körper zu verorten sind.

Nadja Mack-Foraschik, psychosoziale Beraterin: Neben dem bereits Gesagten ist ein Teil meines Jobs auch, dem Paar meine neutrale Beobachtung zur Verfügung zu stellen. Auch wie die Partner miteinander sprechen sagt etwas aus. Hören sie einander zu? Schauen sie einander an? Sprechen sie nur mit mir oder auch miteinander?

Susanne Fabiankovits, Paarberaterin: Das Unterbewusste hat viele Wege, sich auszudrücken, und daher beobachte ich auch gerne den Körper. Ich bin insgesamt davon überzeugt, dass sich vieles lösen lässt. Jede Beziehung hat in sich das Potenzial, weil Menschen in Beziehungen nicht nur verletzt werden, sondern auch unglaublich daran wachsen können. Das ist aber davon abhängig, wie hoch die Bereitschaft jedes Einzelnen ist, an sich zu arbeiten.

Sagen Sie den Paaren ehrlich, ob Sie eine Zukunft für sie sehen?

Susanne Fabiankovits, Paarberaterin: Meine Meinung ist gar nicht relevant. Ich sehe meine Aufgabe darin, meinen Klienten Werkzeuge an die Hand zu geben und ihnen Raum und Unterstützung anzubieten, um selbst diese Einschätzung machen zu können. Letztlich hängt es ja an ihnen selbst, ob sie bleiben oder gehen möchten.

Birgit Scheiner, Psychotherapeutin: Es kann in der Therapie durchaus vorkommen, dass sich kaum etwas bewegt und Antworten kommen wie: "… das haben wir schon probiert", "… das nützt alles nichts". Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es dann mitunter hilfreich sein kann zu sagen: "Wenn Sie ohnehin schon alles probiert haben, weiß ich jetzt auch nicht mehr weiter." Manchmal hilft genau das den Paaren wieder, in die Selbstverantwortung zu kommen und aktiv Veränderungen anzugehen. Der systemische Therapieansatz, nach dem ich auch arbeite, sieht die Klientinnen und Klienten als die eigentlichen Experten ihres Lebens.

Nadja Mack-Foraschik, psychosoziale Beraterin: Wenn sich einer oder beide Partner kein Stück von der Stelle bewegen, spreche ich diese Wahrnehmung klar und direkt aus. Es ist aber weder meine Aufgabe noch mein Recht, eine Beziehung zu bewerten, sondern das Paar dabei zu unterstützen, individuelle Lösungen zu finden.

Wie viele wollen von Ihnen wissen, ob Sie eine Zukunft für sie sehen?

Nadja Mack-Foraschik, psychosoziale Beraterin: Nicht so viele. Manchmal ist die Enttäuschung im ersten Moment groß, wenn ich erkläre, weshalb ich diese Frage nicht beantworten kann. Im Endeffekt können es die meisten Menschen aber gut nehmen. Die Frage ist ja sehr verständlich, denn der Schritt, in die Beratung zu gehen, erfordert Mut und ist für manche die letzte Hoffnung. Die Erwartungshaltungen sind oft sehr groß.

Birgit Scheiner, Psychotherapeutin: Kaum jemand kommt zur Paartherapie, wenn alles gut läuft. Die meisten erhoffen sich, eine Zukunftsaussicht zu bekommen, in welche Richtung es mit der Beziehung gehen könnte, und wünschen sich schnelle Veränderung. Gerne zitiere ich an dieser Stelle die Frage einer meiner Supervisorinnen: "Stellen Sie sich vor, Ihr Partner verändert sich nicht mehr. Könnten Sie damit leben?"

Susanne Fabiankovits, Paarberaterin: Ich werfe gerne die Punkte auf, die ich an der Paardynamik beobachte, und motiviere die Paare dazu, diese zu lösen. Sind Klienten bereit, zu sehen, welchen Beitrag sie selbst in die Dynamik bringen und warum, steht einer Verbesserung der Beziehung nichts mehr im Wege. Sonst ist es schwierig, den Prozess positiv abzuschließen. (Interview: Sandra Gloning, 9.3.2024)