Österreichische Exilbibliothek/Literaturhaus Wien Maria Lazar
"Zwei Soldaten" ist vermutlich Maria Lazars letztes vollendetes größeres Prosawerk – es entstand zwischen 1945 und 1948.
Österreichische Exilbibliothek/Literaturhaus Wien

Das Bild ist verlockend: Ein neugieriger Verleger öffnet im Beisein der Erbin zwei über viele Jahrzehnte verschlossen gebliebene Kisten aus dem Nachlass einer wiederentdeckten Autorin. So geschehen im September 2022 im englischen Northampton – bei den Nachfahren der Wiener Schriftstellerin Maria Lazar (1895–1948).

Unter einem großen Überwurf im Wohnzimmer der Familie – es klingt wie erfunden – blieben diese Kisten eine Generation lang tabu. Erst die Enkelin Lazars, Kathleen Dunmore, beschloss gemeinsam mit ihrem in Australien lebenden Bruder Jim Dunmore, die darin befindlichen Manuskripte der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Seit Jahresbeginn lagern sie im Literaturhaus Wien. Die Kisten bargen u. a. unbekannte Romane und Prosaarbeiten, Gedichte, Kurzgeschichten, Essays, Filmideen und eine Handvoll Theaterstücke. Letztere bringt Albert C. Eibl in seinem Entdeckerverlag DVB (Das vergessene Buch) noch im April heraus. Eines der enthaltenen Dramen hat das Landestheater Tirol bereits zur Uraufführung angemeldet: Die Hölle auf Erden.

Titelbild
Titelbild "Zwei Soldaten" von Maria Lazar.
DVB-Verlag

Geborgen wurde auch ein Prosatext mit dem Titel Zwei Soldaten, der nun erstmals publiziert vorliegt. Auf knapp achtzig Seiten führen hier zwei in der Wüste im Sterben liegende Soldaten parallele Selbstgespräche. Ein Dialog kommt nicht zustande, auch wenn die beiden in Hörweite zueinander liegen. Sie delirieren und verstehen die Sprache des jeweils anderen nicht.

Auf dem Schlachtfeld

Dem deutschen SS-Sturmmann Hans Schmitt fehlen offenkundig die Beine, der britische Pilot namens Johnny hat keine Hände mehr. Ein Schlachtfeld auf afrikanischem Boden. Es ist finstere Nacht, und die beiden Sterbenden nehmen einander über Geräusche und ihr Sprechen wahr, reagieren aufeinander. Ohne aber je eine direkte Anrede zu wagen. Zwiegespräch Fehlanzeige!

Lazar fand im Leben nie viel Grund, von ihren schwarzseherischen Befunden abzurücken – sie hat den Faschismus literarisch frühzeitig dingfest gemacht (etwa in Die Eingeborenen von Maria Blut) und generell ihr Werk den Themen Krieg, tödliche Ideologie und menschliche Korruptheit gewidmet. Es passt nun ganz in dieses defätistische Bild, dass zwei Menschen mit gleicher Zielsetzung (den Frieden herbeiführen), zwei Menschen des gleichen Namens – Hans bzw. Johann ist die deutsche Kurzform für John – und zwei Menschen, die sich in puncto ihrer fehlenden Gliedmaßen ergänzen, sich kein einziges Mal gegenseitig verständlich machen können.

Unmanövrierbar

Schnörkellos wiewohl in expressionistischer Tonlage lamentieren Johnny und Hans vor sich hin, wobei Lazar die größere Verhärtung, die ideologische Aggression deutlich dem Deutschen anheftet ("Halt deine Schnauze, du!"). Lazar hat hier nicht Becketts Endzeitstück Glückliche Tage vorweggenommen, dafür beanspruchen ihre Figuren und Settings zu viel Realismus. Und doch weisen die beiden unmanövrierbar im Sand liegenden Gestalten voraus auf diesen ikonografischen Ausdruck der Hoffnungslosigkeit.

Die Tragik dieses in sich gespiegelten Doppelmonologs liegt in der Negation der Lage, noch mehr in der Uneinsichtigkeit, im Festhaltenwollen am jeweiligen Glauben, für die gute und richtige Sache den Heldentod gestorben zu sein. Ein theatertauglicher Text, der sich wie eine Parabel auf die Jetztzeit liest. (Margarete Affenzeller, 3.4.2024)