Peter Higgs.
Peter Higgs wurde am 8. Oktober 2013 zusammen mit François Englert der Nobelpreis für Physik für die Entwicklung des Higgs-Mechanismus zuerkannt.
Heribert Corn

Mit seiner Entdeckung hat Peter Higgs einst das Standardmodell der Teilchenphysik vollendet: Nach dem gelungenen Nachweis des nach ihm benannten Higgs-Teilchens am Kernforschungszentrum Cern 2012 dauerte es nicht lange bis zur Auszeichnung mit dem Physiknobelpreis. Nun ist der berühmte Physiker mit 94 Jahren in seiner Heimatstadt Edinburgh gestorben. Laut der Universität Edinburgh ist Higgs am Montag nach kurzer Krankheit zuhause verstorben.

"Er war ein bemerkenswerter Mensch und ein wahrhaft begnadeter Wissenschafter, dessen Vision und Phantasie unser Wissen über die Welt bereichert haben", sagte der Präsident der Universität Edinburgh Peter Mathieson. "Seine Pionierarbeit hat Tausende von Wissenschaftern motiviert, und sein Vermächtnis wird noch viele weitere Generationen inspirieren."

Peter Higgs wurde 1929 im englischen Elswick bei Newcastle upon Tyne geboren. Nach seinem Studium und der Promotion in Physik am King's College London 1954 war Higgs am University College London und am Imperial College London tätig, bevor er 1960 an die Universität Edinburgh ging. Dort schrieb er 1964 innerhalb weniger Wochen jene gerade einmal eineinhalbseitige Arbeit mit dem Titel "Broken Symmetries and the Masses of Gauge Bosons", die ihn weltberühmt machen sollte.

"No relevance for physics"

Higgs schlug einen Mechanismus vor, der den Elementarteilchen ihre Masse verleiht. Er reichte die Arbeit bei der am europäischen Kernforschungszentrum Cern ansässigen Fachzeitschrift "Physics Letters" ein – doch ohne Erfolg: Das Paper wurde abgelehnt. Gerüchteweise attestierte das Fachkollegium der Arbeit "no relevance for physics".

Für Higgs war das ein Schock, doch er gab nicht auf und reichte seine Arbeit einige Wochen später bei der US-Fachzeitschrift "Physical Review Letters" ein, wo sie auch angenommen wurde. Diesmal ergänzte Higgs einen Absatz, worin er in Zusammenhang mit dem Mechanismus, der den Elementarteilchen ihre Masse verleiht, ein Teilchen postulierte. Obwohl er selbst es nicht so nannte, war damit die Idee vom Higgs-Teilchen geboren. "Der Hinweis zum sogenannten Higgs-Boson wäre nicht erschienen, wenn 'Physics Letters' die Originalversion akzeptiert hätte", erinnerte sich Higgs viele Jahre später. Die anfängliche Ablehnung entpuppte sich als Glücksfall.

Spontane Symmetriebrechung

Higgs' Arbeit löste ein Problem des Standardmodells der Elementarteilchenphysik. Diese neben der Allgemeinen Relativitätstheorie genaueste wissenschaftliche Theorie aller Zeiten beschreibt den Mikrokosmos und die Interaktionen aller Elementarteilchen mithilfe der Naturkräfte. Das Standardmodell konnte in den 1960er-Jahren erstaunliche Erfolge vorweisen, doch es stieß auf ein Problem: Laut der Theorie konnten einige darin vorkommenden Teilchen keine Masse besitzen. Das hätte die Symmetrie der Theorie zerstört. Doch die Experimente zeigten, dass die Teilchen sehr wohl Masse besaßen.

Als Lösung dafür schlugen zur selben Zeit mehrere Forschende unabhängig voneinander ein neues Feld vor, dessen Symmetrie "spontan gebrochen" ist: François Englert und Robert Brout in Brüssel sowie Gerald Guralnik, Carl R. Hagen und T. W. B. Kibble am Imperial College London. Higgs war allerdings der Einzige, der explizit ein Teilchen damit assoziierte. Doch ob das Teilchen tatsächlich existierte, war unklar. Zu sehr schien es sich rein um einen mathematischen Trick zu handeln.

Bloß nicht "Gottesteilchen"

Bald setzte sich die Bezeichnung Higgs-Teilchen durch, auch wenn der Physiker selbst nie müde wurde, auf seine Co-Entdecker hinzuweisen. Ihm war die Namensgebung des Teilchens zwar stets etwas unangenehm, noch mehr störte den erklärten Atheisten aber der im populärwissenschaftlichen Kontext häufig verwendete Begriff "Gottesteilchen".

Peter Higgs in Stockholm bei der Nobelpreisverleihung
Peter Higgs wurde 2013 gemeinsam mit François Englert mit dem Nobelpreis für Physik ausgezeichnet. Hier ist er bei der Verleihungszeremonie am 10. Dezember 2013 in Stockholm zu sehen.
Foto: AFP/JONATHAN NACKSTRAND

Als 2012 am Cern schließlich tatsächlich der Nachweis jenes Teilchens gelang, das Higgs knapp 50 Jahre zuvor vorausgesagt hatte, war klar, wer sich über den nächsten Physik-Nobelpreis freuen durfte. Und so war es dann auch: Higgs erhielt die Auszeichnung 2013 gemeinsam mit Englert, Brout war im Jahr zuvor gestorben. Wie groß Higgs' Freude darüber tatsächlich war, bleibt offen. Am Tag der Nobelpreisbekanntgabe versteckte er sich vorsorglich vor der Öffentlichkeit und erfuhr folglich erst Stunden später von der hohen Auszeichnung.

Physik und Musik

Die Entdeckung machte Higgs zum Superstar der Physik. Sein Name ist zum fixen Bestandteil der Popkultur geworden und findet sich etwa in Videospielen wie Hideo Kojimas "Death Stranding". Dort kommt auch François Englert vor, mit dem Higgs seinen Nobelpreis teilte.

Neben Physik interessierte sich Higgs für Musik und Filme, aber auch für Politik. Seine Frau lernte er in den 1960er-Jahren in der Anti-Atomwaffen-Bewegung kennen. Die beiden gemeinsamen Söhne gingen unterschiedliche Wege, einer ist Computerwissenschafter, der andere Jazzpianist. Als Higgs Wien 2016 anlässlich des 50-jährigen Bestehens des Wiener Instituts für Hochenergiephysik (Hephy) der Akademie der Wissenschaften besuchte, freute er sich besonders auf einen Besuch der Oper.

In einem seiner seltenen Interviews kritisierte er damals im STANDARD den steigenden Publikationsdruck in der Wissenschaft: "Ich habe insgesamt etwa 20 wissenschaftliche Arbeiten verfasst. Ich weiß nicht, wie ich in das aktuelle System passen würde." (trat, rkl, dare, 9.4.2024)