Als mich meine beste Freundin aus Tirol das erste Mal in Wien besucht und nach meiner Adresse gefragt hat, ist ihr ein unverblümtes "Das ist gleich beim Schnitzelwirt, oder?" über die Lippen gerutscht. Ja, das stimmt. Aber wieso in aller Welt kennt sie den Schnitzelwirt? Und weiß aus dem Stand, wo er ist? Beim alljährlichen Wien-Besuch mit ihrer Oma sei ein Schnitzel dort Pflicht. Wieso, weiß sie eigentlich auch nicht genau. Man kennt ihn halt, erklärt sie mir schulterzuckend.

Aber wer sind die Leute, die jeden Tag beim Schnitzelwirt ein- und ausgehen? Die sich bei jedem Wetter vor dem Eingang anstellen? Wir haben uns die Sache vor Ort angesehen und sind mit Schnitzelgourmets von nah und fern ins Gespräch gekommen.

Fußgängerinnen und Fußgänger müssen sich durch die Menschentraube vor dem Eingang des Lokals quetschen.
Fußgängerinnen und Fußgänger müssen sich durch die Menschentraube vor dem Eingang des Lokals quetschen.
Nina Schrott

Bei meinem ersten Lokalaugenschein an einem Freitag kurz vor Mittag ist es noch ruhig vor dem Restaurant. Schlange gebe es um diese Zeit noch keine, erklärt mir Wirtin Andrea Schröfl. Ich spreche sie im Schanigarten an, als sie nach dem Servieren in gewohnt flotter Kellnerinnenmanier wieder ins Innere des Lokals huschen will. Erst ab halb zwei Uhr stauen sich die Leute, meint sie, dann aber durchgehend. Allgemein sei das Publikum divers: "Wir haben von asiatischen Reisegruppen über Studenten bis hin zu Einheimischen und Stammgästen alles."

Ruhe vor dem Sturm

Unbemerkt hat sich Senior-Wirt Günther Schmidt zu uns gesellt. Unter seiner getönten Brille blinzelt er in die Sonne, die durch die ganze Neubaugasse bis in sein Gesicht scheint. Vor 50 Jahren hat er das Gasthaus mit seiner mittlerweile verstorbenen Frau Helena unter dem Namen Wachauer Stube eröffnet. Heute ist er 86 und schaut seinen Töchtern, die heute das Sagen haben, immer noch jeden Tag auf die Finger. Beim Stichwort "Studenten" schaltet er sich ein: "Anfangs waren wir ein Studentenlokal. Meine Frau hat vorher im Studentenheim in der Pfeilgasse gekocht, und viele sind ihr hierher gefolgt." Heute kämen weniger Studierende, jene von damals seien aber treu geblieben. "Sie sind heute Anwälte oder Ärzte und schauen immer noch vorbei", erzählt Schmidt stolz.

Er bittet mich hinein. Dort fällt mir direkt eine dreiköpfige Seniorengruppe ins Auge, die es sich am Ecktisch neben dem grünen Kachelofen gemütlich gemacht hat. Eva, die schon Erdäpfelsalat auf ihre Gabel geladen hat, legt diese noch einmal hin, um mit mir zu reden. "Ich komme schon seit 40 Jahren her. Seit ich in Pension bin sogar fast jeden Tag. Unter der Woche gibt's das Menü, am Wochenende à la carte", berichtet sie. Mit dem Ellenbogen stupst sie Horstl zu ihrer Rechten an, der gerade mit seinem Schnitzel beschäftigt ist, er solle sich wohl auch dazu äußern. Er nickt. Offenbar Zustimmung. Bei ihm scheint es ähnlich zu sein.

Ohne Teller, aber mit Seidel sitzt Theres an der anderen Seite des Tisches. "Ich komme fast täglich vor dem Einkaufen vorbei. Es liegt am Weg", erklärt sie. Man treffe immer Bekannte und könne plaudern. Sie habe den Schnitzelwirt vor 30 Jahren für sich entdeckt, als ihre Saunarunde dort öfter auf einen Absacker einkehrte. Ob sie die Touristen und Touristinnen stören? "Noch nie", ergreift Eva wieder das Wort, "ich habe hier die ganze Welt kennengelernt und mich schon mit Australiern mit Händen und Füßen unterhalten. Ich kann ja keine Fremdsprachen. Aber es war immer nett."

Internationales Publikum: Eine japanische Reisebloggerin berichtet über ihre Erfahrung beim Schnitzelwirt.

Beim Hinausgehen laufe ich einer Gruppe japanischer Touristinnen in die Hände. Ich frage, warum sie ausgerechnet beim Schnitzelwirt essen wollen. Abweisendes Fuchteln. Leider erfahre ich nichts. "Wir stehen in den ganzen Reiseführern", beantwortet mir Wirtin Schröfl im Vorbeigehen meine Frage. Kurz darauf studiert ein Mutter-Tochter-Gespann die Speisekarte beim Eingang. Sie unterhalten sich in einer skandinavischen Sprache. Und gehen hinein. Gezielt hat das nicht ausgesehen, offenbar handelt es sich bei den beiden um die typische Laufkundschaft.

Als ich mich gerade zum Gehen wende, fällt mir ein älterer Mann auf, der mit einem Take-away-Sackerl aus dem Gasthaus spaziert. Peter trägt Schildkappe, weißen Bart und eine kleine Umhängetasche. "Ich komme zwei- bis dreimal im Monat her", lässt er mich wissen, "mittlerweile mag ich mein Essen lieber zum Mitnehmen. Ich wohne ja gerade um die Ecke." Außerdem müsse er so nicht anstehen. Ob er mit seinen Schnitzeln zufrieden ist? "Immer. Auch mit dem Kartoffelsalat." Seit er vor 40 Jahren nach Wien gekommen ist, sei ihm das Lokal ein Begriff.

Abendstund

Gegen Abend, kurz nach 18 Uhr, schaue ich nochmals in der Neubaugasse vorbei und finde die schlangestehenden Menschen, die ich gesucht habe. Unter ihnen: Adrian. Ende zwanzig, ursprünglich aus Korneuburg, auf dem Kopf blonde Schneckerln. Neben ihm steht sein Vater. Der kenne das Lokal schon Jahrzehnte, habe es zwischenzeitlich vergessen und mit dem Umzug von Adrian in den siebenten Bezirk wiederentdeckt. "Jetzt gehen wir regelmäßig hin, wenn wir uns in Wien treffen. Das ist fast schon Tradition", heißt es unisono.

Magda und Zuzanna macht die Wartezeit vor dem Schnitzelwirt nichts aus.
Magda und Zuzanna macht die Wartezeit vor dem Schnitzelwirt nichts aus.
Nina Schrott

Weiter hinten in der Schlange vertreiben sich zwei junge Frauen quatschend die Wartezeit. Die zwei 19-Jährigen Magda und Zuzanna aus Holland schauen sich Wien übers Wochenende an. Dazu gehöre für sie, etwas Typisches aus der Region zu essen. Dabei wollen sie ein möglichst authentisches Lokal erwischen. Das Restaurant hat ihnen ein Freund von daheim empfohlen, der sich hier bei seinem Wien-Besuch im Herbst ein Schweinsschnitzel genehmigt und für gut befunden hat.

Die sich stauenden Menschen kommen überraschend schnell voran. Schätzungsweise wartet hier niemand länger als gute 20 Minuten, was sich mit den zahlreichen und überwiegend positiven Google- und Tripadvisor-Bewertungen deckt. Viele der Wartenden wurden von diesen angelockt. Ein Hamburg-stämmiger Wahlwiener führt zwei Freunde aus der Heimat zum Schnitzelwirt aus. Darauf gekommen ist er über Tripadvisor. Zwei hungrige Hannoveranerinnen auf Städtetrip haben per Google hergefunden, erzählen sie, während sie sich in die Karawane einreihen.

Sabrina, Massimiliano und Mafalda sind wegen einer Empfehlung hergekommen.
Sabrina, Massimiliano und Mafalda sind wegen einer Empfehlung hergekommen.
Nina Schrott

Aus Triest sind Sabrina und Massimiliano mit ihrer Tochter Mafalda angereist. Was sie zum Schnitzelwirt führt? "Die Empfehlung der Rezeptionistin im Hotel", verrät Sabrina in charmantem Italo-Englisch. Es gebe gutes Essen zu attraktiven Preisen, habe es geheißen. Online hätten die drei nicht nachrecherchiert. Sie vertrauen den Locals. Bevor ich meine nächste Frage in eingerostetem Italienisch stellen kann, ruft ein Kellner: "Platz für drei!" Das Trio ergreift seine Chance, hebt die Hände und marschiert dem Kellner hinterher. Mahlzeit.

Drinnen werden die drei höchstwahrscheinlich zu anderen Gästen an den Tisch gesetzt. Wie mehrere Bewertungen verraten, vergibt der Schnitzelwirt die Plätze nach dem Kuschelprinzip – z'sammgsitzt wird, wo Platz ist. Ob Ed Sheeran, der 2022 auf Schnitzel mit Erdäpfelsalat vorbeischaute, auch zu nichtsahnenden Touris dazugesetzt wurde? Wer weiß.

Fakt ist, auch die STANDARD-Leserschaft hat eine Schwäche für das Lokal. So fühlten sich viele bemüßigt, für den Schnitzelwirt in die Bresche zu springen, als ihn "Falstaff" vergangenen Sommer nicht unter den zehn beliebtesten Schnitzellokalen Wiens sah. Ein Frevel offenbar. Die Stammkundschaft zu Mittag wird am Nachmittag vom scheinbar nie versiegenden Strom an Schnitzelhungrigen abgelöst. Reservieren kann man auch, habe ich gehört. Dann spart man sich die Warterei. Aber vielleicht gehört das Schlangestehen auch einfach zum Erlebnis Schnitzelwirt. (Nina Schrott, 30.4.2024)