Harvey Weinstein, kurz vor der Urteilsverkündung im Jahr 2020. Nun wurde dieses Urteil aufgehoben.
Harvey Weinstein, kurz vor der Urteilsverkündung im Jahr 2020. Nun wurde dieses Urteil aufgehoben.
APA/AFP/TIMOTHY A. CLARY

Es war ein symbolträchtiges Urteil. 2020 wurde der frühere Filmproduzent Harvey Weinstein von einem Geschworenengericht in New York wegen Vergewaltigung und sexueller Nötigung zu 23 Jahren Haft verurteilt. Aktivistinnen weltweit jubelten über das Urteil, das in dieser Dimension viele nicht erwartet hatten. Nun wurde das damals aufsehenerregende Urteil wegen eines Verfahrensfehlers überraschend aufgehoben. Trotzdem wird es vorerst zu keiner Freilassung Weinsteins kommen. In einem weiteren Strafprozess, ebenfalls zu einem Sexualverbrechen, wurde der heute 72-Jährige 2023 zu 16 Jahren Gefängnis verurteilt.

Der Fall Weinstein löste 2017 unter dem Schlagwort #MeToo die größte weltweite Kampagne gegen sexuelle Gewalt im Arbeitskontext und weit darüber hinaus aus. Recherchen der New York Times und des New Yorker berichteten von zahlreichen Vorwürfen zu Übergriffen durch Weinstein und dass er diese Frauen mit Geheimhaltevereinbarungen zum Schweigen gebracht haben soll. Im Zuge der Veröffentlichungen meldeten sich rund 100 Frauen, denen Weinstein sexuelle Gewalt angetan haben soll.

Das Urteil im Jahr 2020 wurde von vielen auch als Sieg für die #MeToo-Bewegung gedeutet. Nun könnte man fragen: voreilig? Jedenfalls kritisieren prominente Vertreterinnen der Bewegung die Aufhebung des Urteils scharf. Etwa die Aktivistin und #MeToo-Begründerin Tarana Burke oder die Schauspielerin Ashley Judd, die von einer enorm negativen Signalwirkung für Gewaltbetroffene sprechen. Doch genau das scheint nun der Knackpunkt zu sein.

Dritter Anklagepunkt

Denn um andere hätte es in dem betreffenden Verfahren im Jahr 2020 eben nicht gehen dürfen, so lautet die Argumentation des New Yorker Berufungsgerichts. Die Anklage habe einzig auf den Vorwürfen der beiden Frauen beruht. Deshalb sei es vom damaligen Richter James Burke ein schwerer Verfahrensfehler gewesen, vier weitere mutmaßlich Betroffene zuzulassen, die ebenfalls von Übergriffen durch Weinstein berichteten.

Diese Anschuldigungen hätte nichts mit dem Verfahren zu tun gehabt. "Der Angeklagte hat das Recht, für das zur Last gelegte Verbrechen zur Rechenschaft gezogen zu werden, und daher dürfen Vorwürfe früherer Fehltaten nicht zugelassen werden, nur um seine Neigung zur Kriminalität nachzuweisen", führte Richterin Jenny Rivera die Entscheidung des Berufungsgerichts aus, die mit vier zu drei ausging. Allerdings könnte der dritte Anklagepunkt von damals zu Diskussionen über die Aufhebung des Urteils führen. Dieser Anklagepunkt lautete "predatory sexual assault", also "raubtierhafter sexueller Angriff". Im Zuge dieses Anklagepunktes ging es laut Berichten über das Verfahren auch darum, einem bestimmten Verhaltensmuster durch zusätzliche Zeuginnen nachzugehen.

#MeToo hat genau Fragen wie diese erstmals breitenwirksam aufs Tapet gebracht: Was kann gegen missbräuchliche Verhaltensmuster von Menschen in Machtpositionen getan werden, gegen Strukturen, die Übergriffe begünstigen und Anzeigen verhindern? Das zeigte ebenso wichtige Fragen zur Justiziabilität von sexueller Gewalt auf. Und dass Männer, die lange als unantastbar galten, wegen sexueller Gewalt vor Gericht landen. (Beate Hausbichler, 26.4.2024)