Einen aktiveren Politiker als Harald Vilimsky kann man sich kaum vorstellen, und man will es vielleicht auch gar nicht: Der EU-Abgeneigte und Spitzenkandidat der FPÖ schnellt vor und beugt sich wieder zurück, reagiert beinahe auf jedes Wort einer Frage zumindest ausladend mimisch, als wollte er auch alle einzeln beantworten (er will das offenkundig), er holt weit aus, zeigt mit weit ausgestreckten Armen, wachelt beidhändig in viele Richtungen, greift hier und dort und da ins eigene Gesicht, klopft auf den Tisch, geht in den sitzenden Schreibtischstütz und ist ohne Pause in Bewegung.

Harald Vilimsky (FPÖ) gestikuliert in der ORF-
Fit mit Vilimsky: Ein Workout namens ORF-"Pressestunde" mit dem freiheitlichen EU-Spitzenkandidaten.
ORF Pressestunde Screenshot

Fit mit Vilimsky

"Fit mit Vilimsky" in der ORF-"Pressestunde", wer braucht da noch Philipp Jelinek (nicht einmal Servus TV, wie sich gerade zeigte)? Außer vielleicht für die kreischend bunten Socken? Vilimsky eine knappe Presse-Stunde zuzuschauen erschöpft wie ein Marathon oder zwei Stunden in der Muckibude. Woher nimmt dieser Mann diese auch dem Publikum Kraft raubende Energie? Und braucht er mehr davon für seine ausladende Gestik oder doch für seine argumentative Akrobatik, die von kritischen Fragen schneller abbiegt, als man "Cardio" sagen kann.

Pfffff

"Pffffff." Nein, das ist kein Zeichen von Erschöpfung in Vilimskys TV-Workout etwa zur Halbzeit des ORF-Interviewformats. "Pffffff" hört man vom fitten Harald, als er darauf angesprochen wird, dass dem AfD-Abgeordneten Maximilian Krah vorgeworfen wird, er habe Geld aus Russland genommen. Ist es nicht für ihn "riskant, wenn Sie jetzt die Hand ins Feuer legen für die AfD?" Spionageverdacht gegen einen Mitarbeiter Krahs für China? "Ich wüsste nicht, was man ausspionieren könnte im EU-Parlament." Und wenn man dort schon spionieren wolle, dann würde man sich doch nicht ausgerechnet eine Fraktion aussuchen, von der sich alle anderen distanzierten. So kurz vor der Wahl mit einem seit Jahren verfolgten Spionageverdacht zu kommen, das zeigt für Vilimsky doch, dass die "Reformkraft" AfD "unterwandert wird von Teilen des Verfassungsschutzes" und nun bekämpft werde. "Die Geschichte stinkt schon ordentlich."

Vilimsky stinkt sichtlich auch, dass wieder einmal das Selfie von Heinz-Christian Strache, Norbert Hofer, Harald Vilimsky und Johann Gudenus vom Roten Platz in Moskau eingeblendet wird, als die Freiheitlichen einen Freundschaftsvertrag mit Wladimir Putins Partei Einiges Russland unterzeichneten. Das "Memorandum of Understanding" sei nie gelebt worden und ausgelaufen, wiederholt er. Und warum blendet der ORF nicht das von ihm – mit Blick auf die "Pressestunde" kürzlich gepostete – Foto von ihm und Mario Kunasek am Tisch des US-Verteidigungsministers im Pentagon aus 2019 ein? Ein Russland-Verbündeter würde doch nicht ins Pentagon zum Verteidigungsminister gelassen, ist sein Argument dazu. Vilimsky biegt eben rasch ab.

"Ich mag alle Völker dieser Welt"

Aber was gefällt ihm an Russland? Die Frage führt zu einem Monolog der freiheitlichen Völkerverständigung, der doch wieder in einer Verbalattacke mündet: "Ich erachte das russische Volk für ein sehr anständiges, liebenswertes Volk. Ich erachte das ukrainische Volk, das ich kennengelernt habe, ich war über Jahre Vorsitzender der österreichisch-ukrainischen parlamentarischen Freundschaftsgesellschaft, als ein sehr liebenswertes, sehr anständiges, sehr stolzes Volk. Ich mag die Amerikaner, denen ich viele Jahre sehr kritisch gegenübergestanden bin. Ich mag alle Völker dieser Welt." Solange viele von ihnen an Europas Außengrenzen bleiben, möchte man im Sinne von Vilimskys Ideen von "Remigration" ergänzen.

"Pflegestufe 8" für US-Präsident Biden

Dass Vilimsky alle Völker mag (da war er gerade vor der kommentierenden Zwischenbemerkung), "das ist doch nichts Schlimmes. Einmal bin ich von diesem Politiker regiert, und morgen bin ich vom anderen regiert. Das heißt doch nicht, dass ich die Russen generell dämonisieren soll. Dass ich die Ukrainer dämonisieren soll, die unter der Rolle des Herrn Selenskyj leiden. Die Amerikaner, die jetzt unter der Rolle einer Person, die wahrscheinlich in die Pflegestufe 8 bei uns gehört, gerade regiert werden."

Das führt die Journalisten Andreas Koller (Salzburger Nachrichten) und Helma Poschner (ORF) natürlich zu Vilimskys Hang zu Verbalinjurien wie den "Honks von der EU" (die Bezeichnung findet er etwa für Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gerechtfertigt), dem "EU-Wahnsinn", vor dem er auf Plakaten warnt, und vielem mehr.

Aber wer treibt Vilimsky denn in seine Polittouretten? Die Journalisten (und vermutlich auch Journalistinnen, aber die bleiben hier unerwähnt)! Denn: Wenn Harald Vilimsky und seine beiden EU-Kollegen penibel vorbereitet in Straßburg vor Journalisten zu Sachthemen Stellung nehmen, "das interessiert keinen Menschen! Die Journalisten schreiben zum Teil nicht einmal mit!"

Was bleibt einem Sachpolitiker wie Harald Vilimsky da übrig: "Wenn ich da und dort ins Pointierte gehe, bildhafte Sprache wähle, ein bisschen überziehe, wird's auf einmal zu einem Thema. Über dieses Provozieren und Akzentuieren komme ich dann in die inhaltliche Diskussion."

Das freiheitliche Kommunikationsparadoxon

Vilimskys Kommunikationstheorie dazu: "Als Politiker ist man darauf angewiesen, die Journalisten als die Gatekeeper der Information zu durchbrechen, um an den Rezipienten, den Wähler heranzukommen. Da bedient man sich als Oppositioneller manchmal dieser bildhaften, überzogenen Sprache. Das ist aus meiner Sicht durchaus okay."

Mit der Formulierung, Journalisten zu "durchbrechen" ist Vilimsky hier jedenfalls durchgekommen, auch wenn man diese Formulierung durchaus nicht okay finden sollte. Ein Glück, dass es FPÖ-TV und andere den Freiheitlichen nahestehende Medien gibt, wo man eigentlich keine Journalisten durchbrechen müsste und auf diese Brachialsprache verzichten könnte. Aber warum wird sie dann gerade dort noch viel intensiver, höflich formuliert: gepflegt? (fid, 28.4.2024)