Karl Wendlinger reiste mit einem guten Gefühl an. Im Autodromo Enzo e Dino Ferrari war der Tiroler ein Jahr zuvor auf den fünften Startplatz gefahren. Hinter Alain Prost, Damon Hill, Michael Schumacher und Ayrton Senna. Die schnellen Kurven wie Tamburello, das Bergab und Bergauf rund um die Acque Minerali – Imola hatte für Wendlinger einen besonderen Reiz. Im Rennen blieb sein Sauber 1993 mit einem Defekt liegen. Diesmal wollte er Zählbares erreichen. Der damals 25-Jährige dachte vor dem Grand Prix von San Marino an Punkte, vielleicht ein Podium. Und die Vorzeichen waren vielversprechend.

"Wir hatten einen guten Saisonstart. Ich war Sechster in Brasilien, mein Teamkollege Heinz-Harald Frentzen wurde Fünfter in Japan. Imola war das dritte Rennen. Ich war mir sicher, dass unser Auto dort gut funktionieren würde. Dann wurden wir von den Ereignissen erdrückt."

Der Beginn eines schwarzen Wochenendes: Rubens Barrichello fliegt in der Variante Bassa ab.
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Was in den kommenden Tagen in Imola passieren sollte, ging als schwarzes Wochenende in die Geschichte der Formel 1 ein. Die Katastrophe hatte sich nicht angekündigt. Seit Riccardo Paletti 1982 kam kein Pilot in einem Rennen ums Leben. Man wähnte sich in Sicherheit. Als hätte die Formel 1 die tödlichen Zeiten hinter sich gelassen. Als gäbe es jenseits der 300 km/h nichts mehr zu befürchten.

Rubens Barrichello galt als potenzieller Nachfolger des dreifachen Weltmeisters Ayrton Senna. Am 29. April vor dreißig Jahren hob sein Jordan-Hart im ersten Qualifying von Imola bei einer Geschwindigkeit von etwa 225 Kilometern pro Stunde in der Variante Bassa ab. Es war ein kleiner Fahrfehler mit gravierenden Folgen. Barrichello flog über die Curbs hinaus und schlug brutal in die Reifenstapel ein. Der Bolide blieb kopfüber liegen, der Brasilianer kam mit einer gebrochenen Nase davon.

"Es war ein Glück, dass er nicht in die Tribüne geflogen ist. Aber im Grunde hatte sich durch den Unfall nicht viel verändert. Wir dachten, es kann nicht viel passieren. Das Kohlefaserchassis gab uns Sicherheit. Wir fuhren das erste Qualifying zu Ende – und diskutierten anschließend das Setup."

Trio in der Formel 1

1994 fuhren drei Österreicher in der Formel 1. Wendlinger, Gerhard Berger und der weniger bekannte Roland Ratzenberger. Wendlinger hatte den Salzburger 1988 am Thruxton Circuit kennengelernt. Ratzenberger startete in der britischen Formel 3. Wendlinger war in England, um für das Team von Helmut Marko jenen Ralt RT33 zu entwickeln, mit dem er ein Jahr später die Meisterschaft zur deutschen Formel 3 gewinnen sollte.

Aber die Zeit im Motorsport ist knapp bemessen. Auch wenn sich zwei Landsleute in England treffen. Man begrüßt sich und geht wieder getrennte Wege. Jeder konzentriert sich auf sein Team, seinen Boliden, sein nächstes Rennen. Erst 1992 kam es zwischen Wendlinger und Ratzenberger beim 24-Stunden-Klassiker von Le Mans zum nächsten Aufeinandertreffen. Und dann eben 1994 in der Formel 1. Noch vor dem Saisonstart.

"Bei Testfahrten in Imola posierten Gerhard, Roland und ich in der Boxengasse für ein gemeinsames Foto. Ratzenbergers Karriere war beeindruckend, er hat sich ohne großen finanziellen Background bis in die Formel 1 durchgekämpft. Ich denke, er hätte sich behaupten können. Er war ein Racer."

Drei Österreicher in der Formel 1: Gerhard Berger, Roland Ratzenberger und Karl Wendlinger.
Foto: GEPA/Franz Pammer

Ratzenberger fuhr seine erste Saison in der Formel 1, für den finanzschwachen Rennstall Simtek-Ford. Beim zweiten Rennen im japanischen Aida schaffte es der ehemalige Toyota-Werkspilot, Spitzname "Roland the Rat", mit fünf Runden Rückstand auf den elften Platz. Mehr Fahrer sahen das Ziel nicht. Der Simtek war nicht konkurrenzfähig. Im Grunde war es ein Kunststück, die Kiste über die Runden zu bringen.

Am 30. April in Imola verunglückte Ratzenberger nach einem Bruch des Frontflügels bei über 300 km/h. Der 33-Jährige erlitt beim Einschlag in die Betonbegrenzung einen Schädelbasisbruch und verstarb am Unfallort in der Villeneuve-Kurve. Wendlinger saß zu diesem Zeitpunkt in seinem Cockpit in der Box. Er sah den Unfall wenige Sekunden über den Monitor flimmern. Am Nachmittag erfährt Wendlinger von seiner Teammanagerin, dass Roland Ratzenberger tot ist.

"Wir dachten, die Autos wären sicher. Aber das war ein Irrtum. Der Kopf war nicht ausreichend geschützt. Und es gab sehr schnelle Passagen ohne Auslaufzonen. Wir müssen nichts schönreden. Niemand hat sich damals gefragt, ob das noch zu verantworten sei. Für mich gab es nur eine Option: weiterfahren."

Kollektiver Schockzustand

In Imola kam es immer wieder zu Zwischenfällen. Welliger Asphalt, der erste Hochgeschwindigkeitskurs des Jahres. 1989 fuhr Berger in der Tamburello in einem Höllentempo gegen die Wand. In einem Winkel, wie er schlimmer kaum sein konnte. Kurz darauf ging sein Ferrari in Flammen auf. An derselben Stelle verunglückte Ayrton Senna am 1. Mai 1994 tödlich. Der Brasilianer kam mit seinem Williams von der Strecke ab und wurde beim Aufprall vom rechten Vorderrad getroffen.

Wendlinger fährt an der Unfallstelle vorbei, ehe die roten Flaggen geschwenkt werden. Das Rennen wird unterbrochen, das Feld kommt auf der Start-Ziel-Geraden zum Stehen. Der Renningenieur teilt dem Tiroler mit, dass Senna okay sei. Durchs Fahrerlager schwirren Information und Falschinformationen. Es ist ein kollektiver Schockzustand. Wendlinger sieht den Helikopter aufsteigen, hofft auf das Beste – und konzentriert sich wieder auf sein Rennen.

"Senna war eine Erscheinung. Er hat extrem Eindruck gemacht. Und im Rennen war er sowieso ein Phänomen. Was er mit einem unterlegenen Motor anstellen konnte, war nicht von dieser Welt. Den gelben Helm hat man nur im Rückspiegel gesehen, wenn man überrundet wurde."

Ayrton Senna vor dem Start zum Grand Prix von San Marino 1994.
AFP/JEAN-LOUP GAUTREAU

Um 14.17 Uhr wurde das Rennen unterbrochen, um 14.55 Uhr wurde der Grand Prix erneut gestartet. 38 Minuten waren zwischen dem tödlichen Unfall der Galionsfigur und der Rückkehr zum Showgeschäft vergangen. Michael Schumacher gewann auch das dritte Saisonrennen und ebnete damit den Weg zu seinem ersten Weltmeistertitel. Wendlinger verpasst als Vierter nur um drei Sekunden einen Podestplatz.

Der Österreicher stellt seinen Boliden im Parc fermé ab und kehrt an die Box zurück. Er sieht seinen Teamchef Peter Sauber in Tränen an einem Reifenstapel lehnen und erfährt in jenen Sekunden von Sennas Tod. Am nächsten Tag wird Wendlinger gefragt, ob er sich bereit fühlt, Testfahrten in Le Castellet zu absolvieren. Der Grand Prix von Monaco steht an, für jeden Formel-1-Fahrer das Highlight der Saison.

"Natürlich habe ich zugesagt. Ich war wenige Tage nach Imola zu den Testfahrten in Le Castellet. Dann bin ich nach Österreich gefahren, um an Ratzenbergers Begräbnis teilzunehmen. Und dann ging es weiter nach Monaco. Ich hatte gar keine Zeit, die Vorfälle zu verarbeiten. Es ging einfach weiter."

Unfall in Monaco

Karl Wendlinger, der heute als Markenbotschafter von Mercedes-AMG tätig ist, hat ein ausgezeichnetes Gedächtnis. Er hat jedes Rennen, jedes Ergebnis auf Abruf bereit. Er kann heute noch den Rennverlauf seiner Kartrennen von 1983 skizzieren. Am 11. Mai 1994 war Wendlinger mit Heinz-Harald Frentzen und seinem Fitnesscoach Karl Frehsner eine Runde joggen. Am Abend sah er sich im Fernsehen das Uefa-Cup-Finale zwischen Inter Mailand und Austria Salzburg an. Danach weiß er nichts mehr.

Ein Unfall im Training hat seine Erinnerung ausgelöscht. Nach dem Tunnel verlor Wendlinger aus ungeklärter Ursache die Kontrolle über sein Auto. Der Bolide prallt seitlich in die Abgrenzung, zwei Meter weiter rechts wäre er durch den Notausgang gerutscht. Wendlinger wird mit einem Schädel-Hirn-Trauma in künstlichen Tiefschlaf versetzt. Die Ärzte rechnen mit seinem Tod. Aber er überlebt. Das Comeback in der Folgesaison endet nach sechs Rennen, Wendlinger bringt nicht mehr die benötigte Konzentration auf.

"Nach 19 Tagen habe ich die Augen aufgemacht. Ich habe später nie gedacht, dass ich etwas anders hätte machen sollen. Ich habe immer das getan, was ich für das Beste gehalten habe. Mir ist leider der Unfall dazwischengekommen. Er ist Teil meines Lebens. Und ich bin froh, dass ich überlebt habe." (Philip Bauer, 2.5.2024)