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Scheidungen sind in weiten Teilen Kameruns noch ein Tabu. Frauen sind damit den Übergriffen ihrer Ehemänner schutzlos ausgeliefert.

Foto: REUTERS/Finbarr O'Reilly

Oft finden sie nur in statistischen Zahlen von NGOs und UNO-Berichten den Weg an die Öffentlichkeit. Die erlebten Traumata von Frauen werden aber von der Gesellschaft, in der sie leben, nicht wahrgenommen. Viele sind stigmatisiert, anonymisiert und ausgeschlossen. Wie eine Strafe, die den Opfern das Vergehen vor Augen führen soll: in Kamerun eine Frau zu sein.

Schweigen als bessere Antwort

Carine lebt in Yaoundé, in einem Armenviertel am Rand der Hauptstadt. Sie wurde, als sie gerade 13 Jahre war, mehrmals von ihrem Schwager vergewaltigt. Die "Ehre der Familie" zwang sie zum Schweigen, denn die Verwandtschaft wollte von den Vergewaltigungen nichts bemerkt haben. So lernte das Mädchen mit ihrer schrecklichen Erfahrung irgendwie alleine zu leben.

Jeannette ist 17 Jahre und lebt in Kribi. Hier sind die Menschen stark von Armut betroffen, dennoch entwickelte sich das kleine Fischerdorf in den letzten Jahren zu einer touristischen Attraktion. Entlang der schönen und naturbelassenen Küste treffen die vielen Neureichen aus Kamerun auf westliche Touristen, die nicht nur zum Zweck einer Kultur- und Entdeckungsreise gekommen sind. Auch die minderjährige Jeannette wurde von der eigenen Familie hierher geschickt, in der Hoffnung auf finanzielle Erträge aus der Prostitution. "Meine Familie ist sehr arm. Meine Mutter konnte nicht mehr alleine für uns sorgen. So wurde ich zu Touristen in Hotels geschickt. Was sie mit mir dort gemacht haben...."

Das Schweigen scheint hier die bessere Antwort zu sein, die geeignetere Erklärung für ihre täglich wiederkehrende traumatische Erinnerung. "Als ich schrie kamen die Leute vom Hotel ins Zimmer. Nach einigen Minuten Diskussion mit den Tätern haben sie mich einfach aufgefordert, nach Hause zu gehen, ohne meine Schmerzen und Verletzungen zu beachten." Dabei war sie zum Sex gezwungen worden, als sie sich weigerte, "das Spielchen" weiter zu machen. Die lokale Behörde wollte ihr nicht helfen, weil sie - so die offizielle Begründung - keine Anzeige erstattet hatte.

Aufgaben einer Ehe

Habiba ist heute 26 Jahre alt. Sie lebt als alleinerziehende Mutter mit ihren vier Kindern im Norden Kameruns. Mit 13 war sie bereits verheiratet. Mit einem mächtigen und 40 Jahre älteren "Aladji". Aufgrund dieser Ehe hatte sie ihr Studium frühzeitig beendet, um sich ihren neuen und unbekannten Aufgaben als Ehefrau widmen zu können. Allerdings gehörten dann Vergewaltigungen, ungewollte Schwangerschaften und psychische Gewalt zu ihrem Alltag. Nachdem sie nicht mehr dem lokalen Verständnis einer guten Ehefrau folgte und ihrem Mann "gehorsam" diente, wurde sie rechtlos geschieden. Auch Habiba hat seither gelernt, mit den täglichen Schmerzen umzugehen. Wer in dieser Gesellschaft einmal verheiratet war, findet nur schwer wieder einen Mann und gilt für immer als "schlechte" Frau. Die größte Schwierigkeit sei es, meint Habiba, von der Gesellschaft so schnell verurteilt zu werden. "Ich wurde oft gefragt, warum ich trotz allem so viele Kindern mit ihm gemacht habe. Es fällt mir jedes Mal schwer zu erklären, dass jedes Kind, das ich von meinem ehemaligen Ehemann ausgetragen habe, die Frucht einer systematischen Vergewaltigung war."

Sich von einem Mann scheiden lassen, ist hier noch ein Tabu. Das bestätigen die Richterin Beatrice Ntuba und die Staatsanwältin Vera Ngassa durch ihr Engagement als Anwältinnen von Frauen, die Opfer von Gewalttaten werden. Die Beispiele sind sicherlich nicht repräsentativ für die problematische Lage zahlreicher junger Frauen in Kamerun. Sie versuchen jedoch, die Realitäten der veröffentlichen Statistiken durch persönliche Schilderungen näher zu kommen.

Über 400.000 Vergewaltigungsopfer

Sexuelle Ausbeutung zählt zu den schwerwiegendsten Verletzungen von Frauenrechten in Kamerun. Dem UN-Informationsdienst IRIN zufolge sind in Kamerun in den vergangenen 20 Jahren 432.000 Mädchen und Frauen vergewaltigt worden. Diese offizielle Angabe spiegelt nicht das gesamte Ausmaß des Problems wider, weil viele Daten aufgrund der mangelhaften Infrastruktur im Land unzugänglich sind.

Viele der sexuell ausgebeuteten und verletzten Frauen wissen meist nicht, wie sie mit ihrem Trauma umgehen sollen. Oft fehlt neben der psychologischen Betreuung nach so einer Gewalterfahrung der Zugang zu rechtlichen Informationen. Der Mangel an frauenpolitischer Bildung sowie eine unzureichende Sensibilisierungsarbeit durch staatliche Institutionen bzw. auch von Menschenrechtsinitiativen scheinen daran mit schuld zu sein. Einige der betroffenen Frauen geben an, dass sie dem Umgang mit Behörden lieber aus dem Weg gehen und mit ihrem Schweigen zusätzlichen Ärger vermeiden wollen.

Kein Schutz trotz Gesetzen

Die in Kamerun beschlossenen Gesetze gegen Vergewaltigung und sexuelle Gewalt an Frauen bieten keinen tatsächlichen Schutz für die Opfer. Ihre mangelhafte Durchsetzung sowie das Fehlen von Sanktionen und die Legitimierung traditioneller Zwangsheirat sind Hürden, die beseitigt werden müssen. Billé Siké, Soziologin und Mitgründerin der Frauenorganisation ALFV in Maroua (Nordkamerun), fordert unbedingt Maßnahmen gegen die "Kinder-Ehe". Bei Veranstaltungen der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) kommen Opfer erstmals zusammen und enttabuisieren damit Vergewaltigung und sexuelle Ausbeutung in Kamerun. Die persönlichen Berichte der Opfer sollen dazu beitragen, ihre Stigmatisierung in der Gesellschaft abzubauen. Eine begrüßenswerter erster Schritt, der alleine noch nicht die Lösung ist. (Viviane Tassi Bela, dieStandard.at, 11.03.2010)