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In Westeuropa honoriert die Politik den Einsatz für mehr Sichtbarkeit von Homosexuellen, in anderen Ländern sollen sie allerdings versteckt bleiben.

Foto: APA/epa/NICOLAS MAETERLINCK

Samira Ghorbani Danesh hat Angst. Deshalb redet sie nicht mehr mit JournalistInnen. Sie fürchtet, dass die deutschen Behörden sie dann vielleicht doch in den nächsten Flieger nach Teheran setzen. Dort warten auf Frauen wie Samira Peitschenhiebe oder ein qualvoller Tod durch Steinigung. Dabei ist Samira jetzt sicher vor den Bassidji, den Schergen der iranischen Geheimpolizei. Erst einmal.

Seit vergangener Woche besitzt Samira eine Aufenthaltserlaubnis. Das Papier war für die 24-Jährige so leicht zu kriegen wie Klavierstunden im All. Vor zwei Jahren floh die Architekturstudentin über die Türkei nach Deutschland. Eine Party in Teheran, auf der sie mit ihrer Freundin und anderen Homosexuellen gefeiert hatte, war von der Polizei gestürmt worden. Sie konnte sich verstecken und ist seither auf der Flucht. Im Oktober 2010 hatte sie beim deutschen Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) Asyl beantragt. Das Amt wies ihren Antrag ab. Man glaubte ihr zwar, dass sie lesbisch ist. Nicht aber die Geschichte von der Party und dass sie ins Visier der Bassidji geraten ist. Da es aus Sicht der AsylwächterInnen keine konkrete Verfolgungssituation gab, war Samira auch nicht schutzbedürftig.

Im Gottesstaat steht auf homosexuelle Handlungen die Todesstrafe. Zwischen 1979 und 2009 wurden mehr als 4.000 Homosexuelle zumeist gesteinigt. 2005 wurden zwei Teenager wegen "Lavat", der sexuellen Handlung zwischen Männern, aufgehängt. Vor der Vollstreckung peitschte sie ihr Henker vor einer johlenden Menschenmenge aus. Dass Samira allein wegen der Rechtslage im Iran "konkret" gefährdet sein könnte, leuchtete dem Amt nicht ein. Denn "die Veranlagung als solche ist im Iran in keiner Weise strafbar oder illegal", wie es im Bescheid des BAMF heißt. Solange sich Samira beim Lesbischsein nicht erwischen lässt, passiert ihr auch nichts.

Ähnlich argumentierte das Verwaltungsgericht Bayreuth, das Samiras Klage im März 2012 zurückwies. Für die zuständige Richterin gibt es "keine Hinweise darauf, dass die iranischen Behörden aggressiv gegen Homosexuelle vorgehen". Bei einer Rückkehr in den Iran habe Samira "bei entsprechend zurückhaltendem Lebenswandel, den alle Homosexuellen im Iran praktizieren, die unbehelligt leben wollen, keine Verfolgungsmaßnahmen zu befürchten". Eine Gerichtssprecherin verteidigte die Begründung auf Nachfrage. Samira habe ihre Homosexualität schließlich seit dem 15. Lebensjahr problemlos leben können.

Samiras Anwältin, Gisela Seidler, nennt das Urteil "vollkommen absurd". Auch private Nischen sind für gleichgeschlechtliches Begehren im Iran nicht sicher. Selbst bei größter Vorsicht könne die verbotene Liebe auffliegen. Homosexualität gilt als gefährliche Krankheit, von der auch die Familie nichts erfahren darf. Junge Frauen wie Samira müssen heiraten, "was zu einem Zustand permanenter Vergewaltigung führt", sagt Seidler. 

Homosexualität als Verfolgsgrund

Wenn in einem Land Homosexualität verfolgt wird, kann selbst der eigene Partner zum Verräter werden. Um sich selbst zu schützen, erklärte ein Verfolgter in Nigeria, er sei von seinem Freund verhext worden. Dieser wurde daraufhin von einem Mob gelyncht. In Uganda blies die Zeitung "Rolling Stone" zur Jagd auf Homosexuelle. Sie bildete die "Top-100-Homos" mit Namen, Wohnort und der Aufforderung "Hang them" ab. Wenig später wurde der Schwulenaktivist David Kato in seinem Haus bei Kampala mit einem Hammer erschlagen. Andere Geoutete erhielten Morddrohungen.

Trotzdem haben es homosexuelle AsylwerberInnen in Deutschland besonders schwer. Sie müssen nicht nur glaubhaft machen, dass sie Menschen des eigenen Geschlechts lieben, wofür sich viele schämen. Sie sollen Deutschlands Türsteher auch davon überzeugen, dass sie unmittelbar bedroht sind, selbst dann, wenn in ihrer Heimat Homosexualität unter drakonischer Strafe steht. Ohne einen schriftlichen Haftbefehl im Koffer oder eine Fatwa, die die Verfolgung belegt, lautet das Urteil in Deutschland schnell "unglaubwürdig".

"Die Verfolgungsgründe werden immer angezweifelt. Das ist bei allen Asylsuchenden gleich", sagt Seidler. Homosexuellen Flüchtlingen muten die Gerichte aber zu, ihre sexuelle Orientierung zu unterdrücken und ihre Identität zu verstecken. In der Tat ist schwer vorstellbar, dass der Asylrichter einem Dissidenten nahelegt, seinen politischen Protest für sich zu behalten, oder einem vor Rassismus fliehenden Farbigen, er möge diskreter mit seiner Hautfarbe umgehen. 

RichterInnen für Verfahren ausschlaggebend

"Die Asylverfahren gleichen einem Lotteriespiel", sagt Gisela Seidler. "Ob ein Flüchtling in Deutschland Schutz erhält, hängt davon ab, welcher Richter über den Fall entscheidet. Manche Richter glauben grundsätzlich nichts, und Rechtsmittel gibt es dagegen nicht." Das verdeutlichten auch die massiv unterschiedlichen Anerkennungsquoten für iranische Asylsuchende. "Eine Untersuchung hat ergeben, dass das Verwaltungsgericht Regensburg vor einigen Jahren nur bei vier Prozent der Klagen positiv entschied, während zur selben Zeit beim VG München ein Drittel und beim VG Augsburg sogar fast 45 Prozent der Kläger erfolgreich waren."

Ein Blick nach Europa zeigt, dass es auch anders geht. In Italien erhalten Schwule und Lesben den Flüchtlingsstatus unabhängig davon, ob sie eine individuelle Verfolgung nachweisen können. Es reicht, dass in ihrem Heimatland Homosexualität unter Strafe steht. Auch in Österreich hat ein Gericht entschieden, dass die Situation für Homosexuelle im Iran insgesamt so ernst sei, dass jeder Homosexuelle Furcht vor Verfolgung haben müsse.

Diskretionsgebot

Schon vor zwei Jahren hat der britische Supreme Court in einer vielbeachteten Entscheidung das Diskretionsgebot für Homosexuelle eingemottet. "Von einer homosexuellen Person zu verlangen, ihre sexuelle Orientierung zu unterdrücken, bedeutet, ihr das Grundrecht zu verweigern, so zu sein, wie sie ist." Das Gericht argumentiert, dass die Genfer Flüchtlingskonvention darauf abziele, Diskriminierung zu bekämpfen. Sie erlaube es daher nicht, Flüchtlinge in ihre Heimat zurückzuschicken, weil die Verfolgten die Verfolgung durch Verzicht auf Aktivität vermeiden könnten.

Daher fordert die Iranerin Katayun Pirdawari vom Lesben- und Schwulenverband Deutschland zusammen mit Bundestagsabgeordneten parteiübergreifend ein Bleiberecht für alle Homosexuellen aus Ländern, in denen ihre sexuelle Orientierung unter Strafe steht. "Ich bin in dieses Land gekommen, weil es hier Rechtsstaatlichkeit gibt. Wieso leistet sich Deutschland mit seinen demografischen Problemen solche Urteile?", fragt Pirdawari. 

Nachfluchtgründe

Samira kann erst einmal aufatmen. Schutz für ein Jahr. 365 Nächte kann sie ruhig schlafen, dann wird erneut geprüft, ob Samira nicht eigentlich auch in Teheran gut leben könnte. Ihre Anwältin Gisela Seidler ist deshalb nur "halbfroh". Für sie ist klar, Samira steht der Flüchtlingsstatus zu. Als Flüchtling dürfte Samira drei Jahre in Deutschland leben und arbeiten. Drei Jahre sind 1.095 Nächte, in denen sie ruhig schlafen würde. Letztlich darf Samira nur bleiben, weil die Empörung über ihren Fall öffentlich wurde. Jetzt bestehen "Nachfluchtgründe", wie die JuristInnen sagen, weshalb die Behörden Samira nicht abschieben können.

Denn auch die Bassidji surfen im Internet. Wenn nicht schon auf der Party in Teheran, so sind sie spätestens durch die Medienberichte auf die junge Iranerin aufmerksam geworden, der man in Deutschland sagte, sie solle lieber unauffällig lieben. (Anna Gauto, dieStandard.at, 31.7.2012)