Ina Praetorius: "Die Debatten über Neudefinitionen von Wirtschaft und Arbeit, die die Initiative prägen und begleiten sollten, werden kaum geführt."

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Bis Oktober werden noch Unterschriften für die "Eidgenössische Volksinitiative für ein bedingungsloses Grundeinkommen" gesammelt.

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Noch bis Oktober werden in der Schweiz Unterschriften für ein bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) gesammelt. Die Schweizer Autorin und Ethikerin Ina Praetorius engagiert sich im Komitee des BGE und setzt sich in dieser Funktion für eine stärkere Einbindung  geschlechterspezifischer Fragen in der Debatte über das Grundeinkommen ein. So müsse der Aspekt der Sorgearbeit und die Frage, wer diese gesellschaftlich notwendige Arbeit in einer Gesellschaft mit einem bedingungslosen Grundeinkommen erledigt, dringend diskutiert werden, fordert Praetorius. Auf keinen Fall dürfe das Grundeinkommen jedoch als "Hausfrauenlohn" missverstanden werden.

Parallel zu Praetorius’ Bemühungen, die Aufmerksamkeit der Initiative auf diese Fragen zu lenken, wurde vor einigen Wochen ein erstaunliches Urteil* der Schweizer Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen (UBI), die mit der Kommunikationsbehörde Austria (KommAustria) vergleichbar ist, veröffentlicht: UBI gab der Pensionistin Martha Beéry-Artho mit ihrer Beschwerde Recht, dass die Schweizer Politiksendung "Arena" das Thema einseitig behandelt habe. dieStandard.at sprach mit Ina Praetorius über dieses "epochale Urteil", das ihren Bestrebungen Rückenwind verleihen könnte, und über die hartnäckige Weigerung auch bei BGE-BefürworterInnen, sich neuen Perspektiven zum Thema Arbeit zu öffnen.

dieStandard.at: Sie sind zwar selbst Mitglied im nationalen Initiativkomitee ("Eidgenössische Volksinitiative für ein bedingungsloses Grundeinkommen"), befinden sich aber in dieser Funktion "im Streik". Wie ist das zu verstehen?

Ina Praetorius: Ich nenne es nicht "Streik", sondern sammle einfach persönlich keine Unterschriften mehr, weil ich das beim derzeitigen Stand der Debatte nicht verantworten kann. Da steckt eine längere Geschichte dahinter: Aufgrund des Urteils über die TV-Sendung "Arena" der obersten Beschwerdeinstanz, dass die TV-Diskussion zu männerlastig und damit nicht sachgerecht sei, habe ich versucht, im Komitee eine positive Stellungnahme zu diesem Urteil zu bewirken. Das ist mir nicht gelungen. Seither kann ich die Initiative nicht mehr vor den Leuten auf der Straße vertreten. Denn die Debatten über Neudefinitionen von Wirtschaft und Arbeit, die die Initiative prägen und begleiten sollten, werden kaum geführt. Ich fordere niemanden zum "Streik" auf. Denn im Prinzip wünsche ich mir, dass die Initiative Erfolg hat, damit wir verbindlich weiter über das Grundeinkommen diskutieren können.

dieStandard.at: Der Beschluss der UBI ist ja schon erstaunlich.

Praetorius: Ja, der ist epochal. Die Beschwerdeinstanz hat sich einstimmig hinter das Anliegen von Martha Beéry-Artho gestellt, die gesagt hat: Wenn eine erste große Fernsehsendung über eine politische Debatte so läuft, dann haben die Leute schon Bilder im Kopf, die ihnen sagen: Aha, da geht’s um Künstler oder um junge Männer, um Steuern, Finanzierungsmodelle und so weiter. Aber nicht um Frauen und nicht um Hausarbeit. Das Spektakuläre ist, dass die oberste Beschwerdeinstanz diese Sicht der Dinge einstimmig unterstützt. Zwar geht das Schweizer Fernsehen jetzt vor das höchste Gericht, weil man das nicht auf sich sitzen lassen will. Bis das Bundesgericht Stellung bezieht, kann es aber noch lange dauern. In dieser Zeit kann für das Thema Öffentlichkeit gewonnen werden. 

dieStandard.at: Und Sie wollten dieses Urteil nutzen um zu zeigen, dass die Grundeinkommens-Debatten bisher den wichtigen Aspekt der Sorgearbeit zu wenig berücksichtigen?

Praetorius: Ja. Alle scheinen davon auszugehen, dass das Grundeinkommen selbstverständlich für Frauen ein Segen sei. Das finde ich prinzipiell auch, aber ohne gleichzeitige Kritik an der patriarchalen Arbeitsteilung entsteht viel zu leicht der Eindruck, es sei ein "Hausfrauenlohn". Das kam auch schon öfter in den Medien so vor, in einer Beschreibung zu einer Radiosendung stand etwa, mit dem Grundeinkommen werde "die Hausfrauenarbeit bezahlt". Das ist natürlich Unsinn, weil es die Kernaussage der Bedingungslosigkeit konterkariert. So entsteht der Eindruck: Für Männer ist das BGE bedingungslos, für Frauen ist es ein Hausfrauenlohn.

dieStandard.at: Es gibt also unterschiedliche Auffassungen, was ein Grundeinkommen für Frauen und was ein Grundeinkommen für Männer sein könnte?

Praetorius: Genau. Deshalb gibt es um die feministische Ökonomin Mascha Madörin bereits eine Gruppe, die sich gegen das Grundeinkommen einsetzt. Ich bin einverstanden, dass die Gefahr der Auslegung des BGE im Sinne der konventionellen Arbeitsteilung groß ist. Aber wir können die Debatte ja noch beeinflussen. Dazu ist die Geschichte mit dem Urteil der UBI ein wunderbarer Anlass.

dieStandard.at: Sie haben in Ihrem Blog geschrieben, dass wir nicht wissen können, wie sich die Gesellschaft mit dem Grundeinkommen verändert. Es wäre also möglich, dass mit dem Grundeinkommen tatsächlich eine gerechtere Verteilung von Sorgearbeit entsteht?

Praetorius: Das ist zu hoffen. Es passiert aber nicht automatisch, sondern nur, wenn sich die ganze Gesellschaft auf diese Debatte einlässt, nicht nur kleine feministische Nischen. Dass die Bewegung für das Grundeinkommen breit ist, gefällt mir. Aber sie darf nicht patriarchal vereinnahmt werden.

dieStandard.at: Warum stellen sich die AktivistInnen so vehement gegen diesen wichtigen Aspekt?

Praetorius: Das Initiativkomitee steht zurzeit unter massivem Druck. Zwar sind schon 100.000 Unterschriften gesammelt. Da aber nur beglaubigte Unterschriften gültig sind, braucht es mindestens noch 20.000 mehr. Vielleicht hat die relativ kleine, nicht parteigebundene Kerngruppe im Moment einfach keine Zeit, sich mit Theoriedebatten zu befassen? Da mache ich aber nicht mit. Die Situation, dass Frauen warten müssen, bis "wichtigere" Probleme gelöst sind, hatten wir schon zu oft.

dieStandard.at: Was meinen Sie, warum ist die Bereitschaft, sich mit Ihrer kritischen Position auseinanderzusetzen, so gering?

Praetorius: Das ist eine komplexe Frage. Es gibt auch bei fortschrittlichen Männern - und einigen Frauen - eine starke Hemmung, die un- und schlecht bezahlte Sorgearbeit ins Zentrum zu stellen, also zum Beispiel anzuerkennen: Niemand hätte ohne diese Art Arbeit als Säugling überlebt. Es steht inzwischen außer Frage, dass diese Arbeit zentral ist und den mit Abstand größten Wirtschaftssektor bildet. Trotzdem wird  Arbeit immer noch stillschweigend mit Erwerb gleichgesetzt. Das ist eine uralte Geschichte, die mit einer seit Jahrtausenden eingeübten symbolischen Ordnung zu tun hat. Aber heute haben wir die Chance, diese Ordnung zu kippen. Solche Gelegenheiten, dass eine offizielle Beschwerdeinstanz die Kritik an einer einseitig geführten Debatte gutheißt, müssen genützt werden. Eine solche Chance wäre vor zwanzig Jahren noch undenkbar gewesen. (Beate Hausbichler, dieStandard.at, 16.5.2013)