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"Frauen in Leitungspositionen sind nach wie vor in der Minderheit, wahrscheinlich weil es vielen Frauen zu mühsam ist, ihre Position im Alltag ständig verteidigen zu müssen."

Die Pharmaforscherin Nicole Meisner ist eine der jüngsten Laborleiterinnen bei Novartis. Sie entwickelte einen neuartigen Ansatz zur Krebstherapie, muss gegen den Neid männlicher Kollegen ankämpfen und gegen die eigene Lust, siebzig Stunden pro Woche zu arbeiten. Ein Porträt von Gastautorin Teresa Arrieta.

Ausbildung: Studium der Molekularbiologie/Biophysik, Universität Salzburg.
Position: Leiterin des Labors für zelluläre Biophysik bei Novartis Wien

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Freunden und Familienmitgliedern kann sie oft nur schwer begreiflich machen, warum sie so viel arbeitet. "Es ist nicht das Geld oder die Karriere, es ist der Spaß an der Sache", erklärt Nicole Meisner mit leuchtenden Augen – und auch etwas verlegen. Mit ihrem hippen Outfit würde man sie eher in einem Szene-Treff als im Forschungslabor vermuten, aber der Schein trügt gewaltig. Achtzig Prozent ihrer Zeit verbringe sie an ihrer Arbeitsstätte, erklärt die Biophysikerin schuldbewusst, da bleibe wenig übrig fürs Privatleben. "Ich hab das Glück, dass mein Partner sehr verständnisvoll ist, er schafft es, dass ich auch mal abschalte und früher heim komme." Doch ihre Arbeitswut sei eine Branchenkrankheit. Sie sei sicher nicht die einzige Forscherin, die findet: "Es gibt nichts Spannenderes, als vor dem Mikroskop zu sitzen und einen neuen Zusammenhang zu erkennen." Ihre Forschungsleidenschaft hat die Molekularbiologin rasch in die Höhe katapultiert: Unmittelbar nach Abschluss des Doktoratstudiums bei der Pharmafirma Novartis übernahm sie mit kaum 29 Jahren die Leitung des Labors für zelluläre Biophysik.

Tod der Großmutter löst Forschungswut aus

2006 entwickelte das Ausnahmetalent einen neuartigen und möglicherweise hochwirksamen Ansatz gegen Krebs. Die von Meisners Team entwickelten Substanzen sollen sanft wirken und schädliche Zellen in einem sehr frühen Stadium angreifen, so dass Chemotherapie oder Bestrahlung nicht mehr notwendig sind. "Messenger RNA Stabilitäts-Modulation" nennt sich der neue Therapieansatz, der in rund zehn Jahren auch für den Menschen anwendbar sein könnte, und den Novartis patentieren ließ. So würde sowohl der Tumor am Wachsen gehindert, als auch die Bildung von Metastasen blockiert.

Auslöser für Meisners wissenschaftlichen Ehrgeiz war der Krebstod ihrer Großmutter, die sie bis zu ihrem Tod pflegte, und für die sie beruflichen Ehrgeiz zurückstellte: Um ganz für die Großmutter da sein zu können, zögerte sie ihren Einstieg bei Novartis um ein Jahr hinaus. Ihr Forschungsprojekt der letzten Jahre könnte nun zu einer neuen Therapie für genau jene Krebsart führen, an der ihre Großmutter starb. "Meine Vorgeschichte verleiht mir zusätzlichen Antrieb", bekräftigt Nicole Meisner. Sieben Jahre sei der Tod der Großmutter nun bereits her: "Ich muss mir heute immer öfter ins Bewusstsein rufen, dem Leben außerhalb der Arbeit höhere Priorität zu geben. Damals war's mir viel bewusster."

Mobbing durch Männer

Nicole Meisner hat Molekularbiologie in Salzburg studiert, wo sie ihrem späteren Doktorvater Manfred Auer bald positiv auffiel. Er sollte in den nächsten Jahren ihr wichtigster Mentor werden. Er holte sie für ein biophysikalisches Forschungsprojekt in die Pharmaindustrie und übertrug ihr rasch den Posten der Laborleiterin, nicht ohne sie zuvor vor der eigenen Karriere zu warnen: "Männer können mit jungen Frauen in höheren Positionen nicht umgehen", meinte er in weiser Vorausschau – damals glaubte ihm die Hochtalentierte nicht, doch bald sollte sie es zu spüren bekommen: Es entbrannte ein einjähriger Konkurrenzkampf mit einem Kollegen, der es nicht verkraften konnte, dass die junge Kollegin an seiner statt den leitenden Posten erhalten hatte.

"Wir haben uns vorher gut verstanden und gut zusammengearbeitet, aber als ich die Stelle bekam, hat er drei Tage nicht mit mir gesprochen und mich dann ein Jahr lang gemobbt, es war schwer erträglich zum Schluss." Ihr Chef habe jedoch immer hinter ihr gestanden, die Situation erkannt und sich nicht hinters Licht führen lassen. "Männer empfinden die Konkurrenz einer Frau anders, als die Konkurrenz eines Mannes", bedauert Meisner. Wäre sie ein Mann gewesen, hätte der Kollege ihren Aufstieg weit besser verkraftet, ist sie überzeugt.

International forschen und Segelboote steuern

Gemessen an ihrem Alter und ihrer Zeit im Unternehmen hat Nicole Meisner eine ungewöhnlich große Zahl an Patenten entwickelt. Besonders begeistert sie sich für das Sozialverhalten von Molekülen: "Wir messen mithilfe von Spektroskopie einzelne Moleküle: Wie schnell sie sich bewegen, wie schnell sie rotieren, wie hell sie sind, welche Farbe sie haben, ob sie alleine sind oder zu zweit." Ihr neuestes patentiertes Bravourstück ist eine Methode, Gene mit Hilfe kleiner DNA- oder RNA-Sequenzen künstlich einzuschalten, was beispielsweise die Blutgefässbildung verbessern könnte. Daraus könnte ein neuer Therapieansatz für die schlechte Wundheilung bei Diabetikern oder alten Menschen werden, hofft Meisner. Ihr Forschungsprojekt überrollt sie derzeit geradezu, weil es nun publik geworden ist in der Firma. Heute sind mehrere Arbeitsgruppen weltweit daran beteiligt, es hat somit auch eine internationale Dimension bekommen.

Es sei ein Riesenglück gewesen, einen Mentor zu haben, der immer hinter ihr gestanden ist, analysiert die Molekularbiologin ihre steile Karriere. Zukunftsperspektiven? In den Hauptsitz der Firma nach Cambridge zu wechseln, "das würde mich sehr reizen". Und so viel Zeit wie möglich ihrem Hobby, dem Segeln zu widmen, wo sie als Skipper (Schiffsführerin) wieder einmal eine der wenigen Frauen weit und breit ist.