"Maßstab ist die von Kopf bis Fuß renovierte Frau".
Susie Orbach gründete das Women's Therapy Centre in London und New York und war Mitentwicklerin der seit 2004 laufenden Dove-Kampagne. Auch an der Gründung der Organisation Anybody war sie beteiligt.

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"Der Körperhass der industrialisierten Welt ist ein heimlicher Exportschlager in Zeiten der Globalisierung", konstatiert Susie Orbach in ihrem neuen Buch "Bodies. Der Körper als Schlachtfeld". Drei Jahrzehnte nach dem Erscheinen ihres Bestsellers "Fat is a Feminist Issue" ("Das Anti-Diät-Buch"), in dem die britische Psychoanalytikerin als eine der Ersten auf die gesellschaftlichen Zusammenhänge von verfälschten Körperbildern und ihren fatalen Folgen aufmerksam gemacht hat, ist der Schönheits- und Schlankheitskult zu einem Massenphänomen geworden.

Schon damals sei diese Entwicklung vorauszusehen und in einen Kontext mit der Frauenemanzipation zu stellen gewesen, meinte sie in einem Interview mit der Frankfurter Rundschau. Die Frauen wären unter Druck geraten, ihre Körper sozusagen zurückzukaufen: "Man hatte ihnen gesagt: Okay, ihr bekommt mehr Rechte und mehr Platz im öffentlichen Raum, aber dafür müsst ihr besonders dünn sein oder einem bestimmten Schönheitsideal entsprechen. Gleichzeitig gab es Änderungen auf dem Arbeitsmarkt. Das zeigte sich auch daran, dass in den 1980er-Jahren Männermagazine anfingen wie Frauenmagazine auszusehen. Die neue Art der Problemlösung für Männer bestand plötzlich darin, sich zu stählen, um sich in ihren trainierten Körpern besser zu fühlen. Der Körper als Selbstzweck rückte immer mehr in den Vordergrund."

Neue Besessenheit vom Körper

Indem der Körper mehr und mehr als Objekt erlebt werde, das es zu formen und zu "optimieren" gelte, sei der Hass auf den Körper explosionsartig und nahezu weltweit angestiegen. Und es sei schon lange nicht mehr nur der weibliche Körper, der im Fokus der Bearbeitung und Veränderung stehe. Steroide, sexuelle Hilfsmittel und eigene Diätprodukte für Männer seien mittlerweise genauso "normal" wie digitale bildliche "Verschönerungen" von Babys und Kindern im Netz.

"Diese Phänomene sind allgegenwärtig und wir nehmen sie nicht einmal als Probleme zur Kenntnis, weil unsere gesamte Kultur sich dieser Obsession vollends verschrieben hat. Das beginnt mit Menschen, die völlig selbstverständlich die meisten Lebensmittel nicht anrühren oder nur einmal am Tag oder nur an Wochenenden essen, und geht bis zu Kindern, die Angst haben vorm Essen oder vollkommen darauf fixiert sind", erklärt Susie Orbach. Gerade im Bereich der Ernährung gäbe es eine Massen-Obsession:

"Wenn es so etwas wie 'normales' Essen nicht mehr gibt, wenn man vor lauter Sorge um Gewicht und Kleidergrößen kein Gefühl mehr dafür besitzt, wann man Appetit hat und wann man satt ist, dann kann das zu extremer Dünnheit führen. Gleichzeitig kann es genauso leicht ins Gegenteil, also in unkontrolliertes Essen und Fettleibigkeit umschlagen. Es sind die zwei Seiten derselben Medaille. Anorexie oder Bulimie sind nur weniger sichtbar als Fettleibigkeit, aber sie sind genauso verbreitet." Auf der anderen Seite stehen ganze Industriezweige, die mit den Körper-Unsicherheiten der Menschen enorm viel Geld machen: die kosmetische Chirurgie, die Schönheitsindustrie und die Diätindustrie.

In "Bodies" untersucht die Autorin, was gegenwärtig mit dem Körper geschieht und warum. Sie stellt einige Extrembeispiele der körperlichen Manipulation vor und fordert gleichzeitig dazu auf, die ganz alltäglichen Dinge, die wir heute tun, kritisch zu überdenken. Sie liefert Theorien, warum Zufriedenheit mit dem eigenen Körper so schwer zu erlangen ist und zeigt auf, wie Gefühle erzeugt werden, "dass der Körper, den wir haben, irgendwie nicht mehr unser wahrer Körper ist".

Biologie muss nicht (mehr) Schicksal sein

Wenn wir unseren Körper bis vor kurzem noch als gegeben hingenommen haben, als einen sicheren Ort, worin und wodurch wir leben können, so ist das heute Fiktion. Die "neue Grammatik der visuellen Kultur", in der jede/r von uns wöchentlich mit 2000 bis 5000 digital bearbeiteten Bildern konfrontiert ist, die als real in Erscheinung treten, das "Ideologem vom selbstkompetenten Konsumenten" und die Macht diverser Schönheits- und Gesundheitsindustrien führten zur mittlerweile populären Auffassung, dass Biologie nicht länger Schicksal sein muss. Die Suggestion, für jeden subjektiv empfundenen körperlichen Makel gäbe es eine Lösung, sei jedoch ein Irrglaube, so Orbach. Dadurch werde das Problem nicht gelöst, sondern im Gegenteil verschärft, weil dieser Glaube einen zunehmend instabilen Körper hervorgebracht habe, "der im alarmierenden Maß zum Ort erheblicher Unzufriedenheit und schwerwiegender Störungen wird".

Vom Schein der Demokratisierung

In gleichem Maße, wie die Machbarkeit Lösungen suggeriert, die keine sind, kritisiert Susie Orbach die heute allerorts geforderte Eigenverantwortung, sich mit dem Körper auf allen nur erdenklichen Ebenen zu beschäftigen, also gesund, schön und schlank zu sein, als moralisches Gebot, das den Trugschluss der Demokratisierung erwecke. "Indem der 'richtige Körper' als etwas dargestellt wird, das jeder Mensch erreichen kann, egal wo er lebt und in welcher ökonomischen Situation er sich befindet, wird dieser Körper als Mittel propagiert, in unserer heutigen Welt 'dazuzugehören'".

Westliche Schönheitsideale weltweit

Unseligerweise trete dieser demokratische Appell in zunehmend homogener und homogenisierender Form auf, an deren Spitze ein westliches Ideal steht. Die Schönheitsnormen haben sich in den letzten Jahrzehnten extrem verengt und ästhetische Vielfalt ausgelöscht.

In Fidschi beispielsweise hat sich der Prozentsatz von jungen Mädchen, die Erbrechen selbst herbeiführen, innerhalb von drei Jahren nach der Einführung des Fernsehens 1995 von null auf zwölf Prozent erhöht, weil sie versuchen, den schlanken Körpern der westlichen TV-Darstellerinnen nahe zu kommen. Und in Brasilien ist der vormals unbeachtete Busen zum Sexsymbol avanciert. Brustvergrößerung gilt jetzt als unabdingbare Begleiterscheinung des Modellierens und Straffens von Gesicht und Gesäß.

Diese Versuche von Menschen, ob in Japan, Fidschi, Saudi-Arabien oder Kenia, ihre Körper "westlich" umzumodeln, stünden symptomatisch für das Problem des Unwohlseins im Körper rund um die Welt, schreibt Orbach. Auch wenn es den "simplen natürlichen" Körper nie gegeben hat, da der Körper immer sozial und kulturell geformt worden ist – durch Halsringe, Tätowierungen, Gesichtsbemalungen, goldene Zähne, durchbohrte Ohren und vieles andere mehr – wäre der Körper noch nie als "so unsicher und instabil" empfunden worden. Heute seien die Körper in höchstem Alarmzustand. Zu anderen Zeiten hätte man eine solche Ängstlichkeit als Krankheit bezeichnet, und angesichts der vielen Menschen, die daran leiden, von einer Epidemie gesprochen.

Verharmlosung einer Gesundheitskatastrophe

Wenn sich Millionen Menschen täglich mit negativen Gefühlen aufgrund ihrer körperlichen Erscheinung quälen, dann sei das "kein triviales Problem, nur weil es ein privater Kampf ist, der sich als Eitelkeit äußern oder fälschlich dafür gehalten werden mag", sondern eine versteckte Gesundheitskatastrophe, die sich nur ansatzweise in den Statistiken über selbstverletzendes Verhalten, Übergewicht und Anorexie zeigt, die sichtbarsten Symptome einer viel umfassenderen Körperunsicherheit.

Da dem Körper nicht entkommen werden kann, müsse er wieder zu einem verlässlichen Ort gemacht werden. Das setze voraus, unsere jetzigen Vorstellungen und Idealbilder von ihm zu hinterfragen. "Wir müssen dringend der kommerziellen Ausbeutung des Körpers und dem Schwinden der Körpervielfalt Einhalt gebieten", appeliert Susie Orbach, "damit wir und unsere Kinder unseren Körper, unseren Appetit, unsere Körperlichkeit und unsere Sexualität genießen können". Oder anders ausgedrückt: "Sich des Drucks von außen bewusst zu sein, darüber zu schmunzeln, sich Gedanken zu machen, sich aber trotzdem auf einer fundamentalen Ebene in seinem Körper stabil zu fühlen."
(Dagmar Buchta/dieStandard.at, 16.12.2010)