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Auch ein Urteil des deutschen Bundesgerichtshofes könnte mit dem Rückgang der Verurteilungen zu tun haben.

Foto: ap/Ronald Wittek

Die Rate der Verurteilungen bei angezeigten Vergewaltigungen ist in den vergangenen Jahren in Deutschland drastisch gesunken. Zu diesem Ergebnis kam eine bundesweite Untersuchung, die das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachen nun präsentierte. Während vor 20 Jahren noch 21,6 Prozent der angezeigten Vergewaltigungen eine Verurteilung zur Folge hatten, waren es 2012 nur noch 8,4 Prozent. Als ebenso besorgniserregend bezeichneten die Projektleiterin Deborah Hellman und Institutsdirektor Christian Pfeiffer, dass es große Differenzen zwischen den Bundesländern gibt: Die niedrigste Zahl der Verurteilungen liege bei 4,1 Prozent, die höchste bei 24,4 Prozent.

Die Namen der jeweiligen Bundesländer nannte das Institut nicht, da das in Ländern mit einer besonders niedrigen Verurteilungsrate dazu führen könne, dass Frauen von einer Anzeige absehen, weil sie sie als aussichtslos einstufen. Die weit auseinanderklaffende Zahl von Verurteilungen sei deshalb besonders problematisch, weil etwa die Bezahlung von Traumatherapien vom Ausgang des Straffverfahrens abhängig sei. Zudem betonten Pfeiffer und Hellman das für Frauen in manchen Bundesländern besonders hohe Risiko, nach einer gescheiterten Anzeige in ihrem Umfeld als Lügnerinnen zu gelten.

Vergewaltigung im "Nahbereich"

Generell seien die Befunde über die zurückgehende Zahl von Verurteilungen wie auch die großen Unterschiede zwischen den Bundesländern "für einen Rechtsstaat problematisch", heißt es in einer Aussendung des Instituts.

Hinweise auf Gründe, warum Vergewaltigungen immer seltener bestraft werden, könnten die immer öfter angezeigten Vergewaltigungen im sogenannten Nahbereich liefern: 1994 waren noch 30 Prozent der Verurteilten fremde Tatverdächtige, 2012 waren es nur noch 18 Prozent. Deutlich häufiger sind die Anzeigen wegen Vergewaltigung durch "verwandte Tatverdächtige" geworden, deren Zahl im selben Zeitraum von 7,4 auf 27,9 Prozent stieg. Bei diesen Fällen habe man mit einem Beweisproblem zu kämpfen, so Pfeiffer und Hellman: Der Geschlechtsverkehr wird von den beschuldigten Männern zwar zugegeben, nicht aber, dass er nicht einvernehmlich gewesen sei.

Höhere Arbeitsbelastung, weniger Urteile

Der Anstieg der Anzeigen von Vergewaltigungen durch Männer aus dem eigenen sozialen Umfeld hängt mit dem erweiterten Tatbestand von Vergewaltigung zusammen, der in Deutschland seit 1997 Vergewaltigung auch durch den eigenen Ehemann umfasst. Dass viele Frauen aus Rache den Ex-Mann der sexuellen Gewalt bezichtigen, ist laut Experten unwahrscheinlich: "Man kann nicht ernsthaft unterstellen, dass ein so hoher Anteil der Frauen eine Vergewaltigung erfindet", sagte Pfeiffer der "Süddeutschen Zeitung“. Auch die Erkenntnisse der Kriminologie würden zeigen, dass Frauen sich noch immer davor scheuen, sexuelle Gewalt bei der Polizei anzuzeigen.

Die Untersuchung zeigte auch einen Zusammenhang zwischen der Höhe der Arbeitsbelastung durch die Anzahl der angezeigte Vergewaltigungen und den Verurteilungsquoten: Je höher die Arbeitsbelastung der zuständigen PolizistInnen, StaatsanwältInnen und Gerichte, desto seltener enden die Straffverfahren in einer Verurteilung.

Das Institut empfiehlt, dass Zusammenhänge wie diese in einer umfassenden Forschung genauer beleuchtet werden.

Ein Nein reicht nicht

Frauenvereine wie Terre des Femmes fordern indes mit einer Petition eine Reform des Paragrafen 177. Das Gesetz gegen Vergewaltigung weise "gravierende Lücken auf", heißt es auf der Website der Organisation. Die Kritik an dem Paragrafen geht auf eine höchstrichterliche Rechtsprechung aus dem Jahr 2006 zurück. Damals hob der deutsche Bundesgerichtshof eine Verurteilung wegen Vergewaltigung mit der Begründung auf, dass der Umstand, dass der Angeklagte der "Nebenklägerin die Kleidung vom Körper gerissen und gegen deren ausdrücklichen Willen den Geschlechtsverkehr durchgeführt hat", nicht die Nötigung des Opfers durch Gewalt belegen würde.

Ein Nein reiche nicht aus, kritisiert Terre des Femmes. Auch für Pfeiffer und Hellmann vom Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen ist eine Untersuchung eines möglichen Zusammenhangs zwischen diesem Urteil des Bundesgerichtshofs und dem Rückgang der Verurteilungsquote nötig. (beaha, dieStandard.at, 17.4.2014)