Böse SMS von ihrer Tochter erntete die Grüne Lisa Rücker, nachdem sie sich erstmals für eine Frau entschieden hatte. Inzwischen leben ihre Töchter (zehn und dreizehn) wieder gut mit ihrer "Mutter, die halt ein bisschen spinnt".
Foto: Gerlinde Pölsler

Graz – Die ersten Wochen waren kein Honigschlecken. Die ältere Tochter, zehn, schickte aus der Schule böse SMS. Zwar hatte sie im Umfeld der Mutter immer schon lesbische Pärchen erlebt. "Doch für sich selber empfand sie das doch als nicht richtig", erzählt Mama Rücker.

"Am wichtigsten ist die Erfahrung: Es ändert nichts"

Lisa Rücker, Spitzenkandidatin der Grazer Grünen für die Gemeinderatswahlen im Jänner, war viele Jahre verheiratet und hat aus dieser Ehe zwei Kinder, heute zehn und dreizehn. Über die Zeit war ihr jedoch bewusst geworden, dass sie sich erotisch zunehmend zu Frauen hingezogen fühlte. Vor drei Jahren schließlich verliebte sich die heute 42-Jährige – und machte schnell reinen Tisch: Sie beendete ihre Ehe und zog mit der neuen Liebe zusammen. Um die Kinder haben sich ihr Ex-Mann und sie von Anfang an gemeinsam gekümmert.

Für ihre ältere Tochter geriet damit aber doch die Welt aus den Fugen. Nicht nur kam es zu klassischen "Stiefkinder-Geschichten", also zu Fragen zur Rolle der neuen Frau in Mutters Leben. Außerdem quälte die Tochter das Gefühl, Teil einer nicht "normalen" Familie zu sein. Geholfen habe ihr zu sehen, dass Rückers Mutter und Bruder "ganz normal" damit umgingen. Ab da akzeptierte sie die neue Situation: "Am wichtigsten ist, dass Kinder erfahren: Es ändert nichts." Was die Tochter aber doch verlangte, war das Einhalten von Regeln: "Mama, weißt eh: Vor meinen Freundinnen dürft ihr euch nicht küssen." Daran hielt sich Rücker auch.

"Meine Mutter spinnt halt ein bisschen"

Die Kleinere, sieben, hatte den Seitenwechsel ihrer Mutter zu Beginn recht ungerührt aufgenommen. Allenfalls hatte sie durchblicken lassen, sie habe halt "'eine Mutter, die ein bisschen spinnt' – das war ihre Art, sich zu distanzieren", schmunzelt die Gemeinderätin. Doch die Krise kam vor etwa einem Jahr, als die Kür zur Spitzenkandidatin anstand. Rücker erklärte ihren Kindern: Demnächst könnte in der Zeitung stehen, dass ich lesbisch bin. Sie wollte auch im öffentlichen Leben nicht weiter ein Geheimnis daraus machen: "Aus politischen Gründen. Wären Homosexuelle bei uns schon gleichgestellt, wäre es meine Privatsache." Sie hatte auch Lehrerinnen der Kinder ins Vertrauen gezogen und gebeten, diese zu schützen.

Doch nunmehr war es die jüngere Tochter, mittlerweile neun, die in Tränen ausbrach und einen Satz formulierte, der Rücker sehr nahe ging: "Ja, Mama, für dich mag das politisch was bringen. Aber mir bringt das gar nichts." Ihre größte Angst: Wie würden die SchulkollegInnen das aufnehmen? Es folgten lange Gespräche. Einige Tage später kam die Volksschülerin strahlend nach Hause. "Ich habe heute allen in der Klasse erzählt, dass du lesbisch bist" – und nichts war passiert.

Hat denn in drei Jahren wirklich niemand die Kinder aufgezogen, die Mutter geschnitten? Rücker sinniert: Nein. Wäre das wohl auch so, wenn sie eine No-Name wäre? Die Politikerin räumt ein: Sie lebt in der Stadt, ihre Eltern sind sehr offen, als Grüne ist so etwas auch beruflich kein Thema. "Wäre ich eine Lehrerin am Land, sähe es anders aus."

"Die Wahrheit ist Kindern zumutbar"

Was würde sie Betroffenen raten, die nicht wissen, wie sie es ihrem Nachwuchs sagen sollen? Rücker: "Kindern ist die Wahrheit zumutbar." Wünschen würde sie sich, dass das Thema in der Schule selbstverständlich vorkäme – auch um SchülerInnen zu unterstützen, die sich selber fragen: "Bin ich 'normal' oder 'gestört'?". Auch sollten Homosexuelle Stiefkinder adoptieren können, wenn sie eine Elternrolle ausfüllen. Und natürlich darf die Forderung nach Gleichstellung inklusive Homosexuellen-Ehe nicht fehlen. "In der derzeitigen Situation bekommen Kinder das Gefühl, sie lebten in einer illegalen Familie. Klar ist aber: Die klassische Familie ist nicht der einzige Platz, wo Kinder gut aufwachsen können – denn ein solcher Platz definiert sich über die Liebe zum Kind." (Gerlinde Pölsler, dieStandard.at, 2. September 2007)